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Mit den Augen eines Kindes

Mit den Augen eines Kindes

Titel: Mit den Augen eines Kindes
Autoren: Hammesfahr Petra
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auf Zettel, wie sie sich das Programm für die nächste gemeinsame halbe oder viertel Stunde vorstellte.
    Da wir nicht unmittelbar nebeneinander saßen, gingen diese Zettel durch einige Hände, ehe sie mich ereichten. Wenn ich dann endlich las: «Wo willst du heute meine Dose noch einmal pudern?», oder: «Gleich will ich auf deiner Flöte spielen», hatten das vor mir schon ein paar andere gelesen. Und die gaben sich dann während der Pause redlich Mühe, wenigstens zu sehen und zu hören, wenn sie schon nicht selbst pudern und spielen lassen konnten.
    Mit achtzehn galten wir als ein Paar für die Ewigkeit. Aber dann kam das Ende – wie es meist kommt – aus heiterem Himmel. Wir wurden in der Sporthalle erwischt, wo wir uns an der Sprossenwand eingehend mit Biologie beschäftigten. Und von einem Lehrer beim Geschlechtsverkehr ertappt zu werden, wie ein begossener Pudel mit heruntergelassener Hose dazustehen und sich anzuhören: «Was werden wohl eure Eltern dazu sagen?» Hinzu kam die Drohung, wir würden beide von der Schule fliegen. Sonderlich erbauend fand ich das nicht, die körperliche Reaktion war entsprechend und Maren zum ersten Mal bitter enttäuscht von mir.
    Ihr Vater ließ seinen Einfluss spielen und verhinderte, dass wir beide ohne Abitur blieben. Was mich betraf, stellte er allerdings die Bedingung, dass ich ab sofort die Finger und alles andere von seiner Tochter zu lassen hatte. Für seine Einzige hatte er etwas Besseres im Sinn als mich, den zweitjüngsten Spross eines Schlossermeisters, der bei Ford am Fließband stand und sich krumm legte, damit die Kinder eine vernünftige Ausbildung bekamen und es einmal besser hatten.
    Zu allem Überfluss spielte Koska auch noch seine Macht als Hausbesitzer aus. Er drohte tatsächlich damit, die gesamte Familie Metzner an die frische Luft zu setzen, falls das zweitjüngste Mitglied noch einmal Anlass zu Klagen gab. Etwas Schlimmeres hätte man meinen Eltern gar nicht antun können. Sie lebten in der Wohnung, seit sie verheiratet waren. Hier waren die Kinder geboren und aufgewachsen, hier wollten sie alt werden und irgendwann mit den Füßen voran hinausgetragen werden.
    Wie nicht anders zu erwarten, gab es mächtigen Ärger. Da meine Brüder es beide nicht aufs Gymnasium geschafft hatten, war meinen Eltern bis dahin gar nicht bekannt gewesen, warum ich jeden Morgen mit heller Begeisterung meine Schultasche schnappte und aus der Wohnung stürmte. Warum ich nachmittags, an den Wochenenden und in den Ferien nichts Besseres mit mir anzufangen wusste, als zu büffeln. Peter Bergmann hatte inzwischen auch eine Freundin und keine Zeit mehr für mich.
    Meine Eltern hatten mich schon für einen Streber gehalten, wo andere in meinem Alter doch absolut keinen Bock mehr auf Penne hatten. Und nun das! Unser Konrad und dieses verkorkste Ding, über das sich alle die Mäuler zerrissen. Mutter bestand darauf, dass ich mich umgehend von Kopf bis Fuß beim Hausarzt untersuchen ließ. Wer wusste denn, was für unaussprechliche Krankheiten ich mir bei Maren geholt hatte? Vater hielt mir einen nicht enden wollenden Vortrag, in dem immer wieder der Satz fiel: Schuster, bleib bei deinen Leisten.
    Im ersten Schock war ich durchaus zu Kompromissen bereit. Ich wollte Maren nicht verlieren, und es hätte Möglichkeiten gegeben. In aller Heimlichkeit, in verschwiegenen Winkeln, sich nicht mehr erwischen lassen. Doch das war nicht nach ihrem Geschmack. Sie erwartete, dass ich mich nun in aller Öffentlichkeit zu ihr bekannte. Am Sonntagvormittag auf dem Platz vor der Kirche, genau um die Zeit, wenn die honorigen Bürger nach dem Hochamt ins Freie traten. Natürlich wollte sie auf dem Kirchplatz nicht einfach nur Händchen mit mir halten. Und dann sollte ich hoch erhobenen Hauptes die Konsequenzen tragen.
    «Wenn du mich wirklich liebst, Konni, tust du das für mich. Anschließend hauen wir ab. Die sollen uns doch alle kreuzweise.»
    Ich konnte sie nicht vor der Kirche flachlegen, beim besten Willen nicht, da hätte sich bei mir nichts gerührt. Und mit ihr abhauen, guter Gott, ich hatte ganz andere Pläne für die Zukunft. Nach dem Abitur wollte ich unbedingt zur Polizei und nicht mit ihr Bonnie und Clyde spielen. Denn wovon hätten wir sonst leben sollen?
    Ich war nicht dazu erzogen worden, mich über sämtliche moralische Werte und Regeln der Gesellschaft hinwegzusetzen, mein Frühstück im Supermarkt zu klauen oder alten Damen die Handtaschen zu entreißen. Mal ein Tabu brechen, okay,
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