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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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beschäftigt, um sie zu bestätigen und zu unterhalten und zu begehren.Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass sie tatsächlich eine Affäre hat. Wir kennen uns seit über zwanzig Jahren.Wir verstehen einander und stellen keine übertriebenen Ansprüche. Mir gefällt das, was wir haben, und ich weiß, ihr geht es genauso. Meine Verdächtigungen passen im Moment überhaupt nicht.
    Scottie kneift immer noch die Augen zusammen. »Du hättest den Löffel abgeben können«, sagt sie.
    Ich frage mich, was mein Unfall mit irgendwas hier zu tun hat. In letzter Zeit reitet Scottie oft auf meinen Schwächen, meinen Ausweichmanövern, meinen Lügereien herum. Sie fragt mich aus. Ich bin der Ersatz, die Vertretung. Ich bin der Vater. Sie und Esther versuchen, mich auf diese Rolle vorzubereiten, vermute ich, aber ich möchte ihnen sagen, dass alles gut wird. Ich bin die zweite Besetzung, und der Star ist bald wieder da.
    »Was willst du sonst noch?«, frage ich.
    Sie sitzt auf dem Fußboden, das Kinn auf die Sitzfläche des Stuhls aufgestützt. »Mittagessen«, sagt sie. »Ich habe wahnsinnigen Hunger. Und was zu trinken. Ich brauche dringend was zu trinken.«
    »Ich finde, du solltest mit ihr reden«, sage ich. »Ich möchte, dass du mit ihr redest, bevor wir gehen. Ich hole dir gern was zu trinken. Dann bist du eine Weile ungestört, und keiner hört dir zu.« Ich stehe auf, strecke die Arme über den Kopf und recke mich. Ich habe ein schlechtes Gewissen, als ich auf Joanie hinuntersehe. Ich bin so beweglich.
    »Möchtest du eine Cola light?«
    »Findest du mich fett?«, fragt Scottie.
    »Nein, ich finde dich nicht fett, aber Esther füllt dich mit Zucker ab, und ich will eine kleine Entgiftungskur mit dir machen, wenn du einverstanden bist. Hier muss sich einiges ändern.«
    »Warum entgiften?« Sie hebt ihre dürren Arme über den Kopf und streckt sich. Ich habe in letzter Zeit öfter bemerkt, dass sie nachahmt, was ich tue und sage.
    »Deiner Schwester hätte das auch gutgetan«, murmle ich. »Ich bin gleich wieder da. Lauf nicht weg. Red mit ihr.«

2
    Ich gehe hinaus auf den Flur, wo es ganz still ist. Vorne, bei der Anmeldung, sind mehrere Schwestern und Sekretärinnen versammelt, und es stehen auch Besucher herum, die darauf warten, dass die Schwestern und Sekretärinnen aufblicken und ihre Anwesenheit registrieren.Wenn ich an den Zimmern der anderen Patienten vorbeigehe, nehme ich mir immer vor, nicht hineinzusehen, aber ich kann es einfach nicht lassen. Ich schaue in das Zimmer neben dem von Joanie. Es ist das Zimmer eines sehr beliebten Patienten. Normalerweise ist es voll mit Verwandten, Freunden, Luftballons, hawaiischen Blütenketten, Blumensträußen - als hätte der Mann mit dem Kranksein eine große Leistung vollbracht. Heute ist er allein. Er kommt barfuß aus dem Badezimmer und hält seinen Morgenmantel vorne zusammen. Man merkt, dass er außerhalb des Krankenhauses ein ziemlich brutaler Typ ist, aber im Morgenmantel wirkt er zart und zerbrechlich. Er nimmt eine Karte, die auf dem Tisch liegt, schaut sie an, legt sie wieder weg und schlurft zum Bett. Ich hasse Gute-Besserung-Karten. Sie sind so ähnlich, wie wenn man jemandem einen sicheren Flug wünscht.
    Ich gehe weiter in Richtung Anmeldung, als Joy und eine andere Krankenschwester mir entgegenkommen. Joy erscheint mir wie die ideale Verkörperung ihres Namens. Sie strahlt immer Freude aus.
    »Mr. King!«, ruft sie. »Wie geht es Ihnen heute?«
    »Hervorragend, Joy - und Ihnen?«
    »Gut, gut.«
    »Gut«, sage ich.
    »Ich habe Sie heute in der Zeitung gesehen«, verkündet sie. »Haben Sie sich schon entschieden? Alle warten darauf.«
    Die andere Schwester stößt sie an. »Aber Joy!«, murmelt sie vorwurfsvoll.
    »Was denn? Mr. King und ich, wir sind so .« Sie legt den Mittelfinger über den Zeigefinger.
    Ich gehe weiter. »Ich glaube, Sie sollten sich um Ihren eigenen Kram kümmern, junge Dame.« Ich bemühe mich, möglichst unbefangen zu klingen. Es ist peinlich, dass Menschen, die mich gar nicht kennen, so viel über mich zu wissen glauben. Und dass viele Leute, vor allem meine Verwandten, gespannt darauf warten, was ich tun werde. Wenn sie wüssten, wie wenig ich bisher über die Angelegenheit nachgedacht habe! Nachdem der Oberste Gerichtshof die Verteilungsstruktur, die mich zum größten Aktionär machte, bestätigt hat, wollte ich mich nur noch irgendwo verkriechen. Das ist zu viel Verantwortung für einen einzelnen Menschen, und vielleicht
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