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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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quält mich auch das schlechte Gewissen, weil ich so viel Einfluss habe.Warum ausgerechnet ich? Weshalb hängt so viel von mir ab? Was haben die Menschen vor mir getan, dass ich das alles bekomme? Vielleicht schließe ich mich der Theorie an, dass hinter jedem großen Vermögen ein großes Verbrechen steht. Gibt es nicht so ein Sprichwort?
    »Bis bald, Mr. King«, ruft Joy noch. »Ich sage Ihnen Bescheid, wenn morgen wieder etwas in der Zeitung steht.«
    »Sehr schön, Joy.Vielen Dank.«
    Ich merke, dass andere Patienten diesen scherzhaften Austausch zwischen mir und Joy misstrauisch verfolgen.
    Warum bekomme ich so viel Aufmerksamkeit? Mein Name verstärkt ihren Neid wahrscheinlich noch - wie das schon klingt: Mr. King! Als hätte ich verlangt, dass man mich im Queen’s Hospital so anredet, als eine Art Witz. Den Patienten passt es nicht, dass ich jemand bin. Kapieren sie denn gar nicht, dass man im Krankenhaus gar nicht unbedingt jemand sein will? Man möchte niemand sein - rein und raus und schon vergessen.

    In dem kleinen Shop gibt es lauter Dinge zu kaufen, die beweisen, dass man Anteil nimmt: Süßigkeiten, Blumen, Kuscheltiere. Sie sollen uns das Gefühl vermitteln, dass wir geliebt werden. Ich gehe zu dem Kühlschrank hinten, um die Cola light zu holen. Auf mein Prinzip mit den zuckerfreien Getränken bin ich stolz. Im Umgang mit meinen Kindern habe ich bisher noch nie strenge Regeln aufgestellt, höchstens: »Nein, das kannst du nicht haben.«
    Bevor ich an die Kasse gehe, schaue ich mir noch die Karten an. Vielleicht gibt es ja eine, die Scottie ihrer Mom geben kann, so nach dem Motto: Eine Karte sagt mehr als tausend Worte. Gute Besserung.Wach auf. Ich liebe dich. Lass mich nicht noch länger allein mit Dad .
    Es gibt auch Ansichtskarten, und ich betrachte die Landschaftsaufnahmen von Hawaii: Lava schießt aus den Felsen von Big Island, Surfer schießen aus einer Welle hervor, Wasser schießt aus einem Wal, der in der Nähe der Küste von Maui auftaucht, Feuer schießt aus dem Mund eines Tänzers im Polynesischen Kulturzentrum.
    Ich drehe den Metallständer, und da ist sie: Alexandra. Ich kenne die Aufnahme. Ich blicke mich um, als würde ich etwas Verbotenes tun. Ein Mann geht hinter mir vorbei, und ich mache instinktiv einen Schritt vorwärts, um das Bild meiner Tochter zu verdecken. Als Alexandra fünfzehn war, hat sie für Isle Cards posiert, und auf diesen Karten stehen Sprüche wie Das Strandleben kann verdammt heiß sein . Aus Badeanzügen wurden String-Tangas, String-Tangas verwandelten sich in noch knappere Zahnseide-Bikinis. Alexandra und ihre Mutter erzählten mir erst von diesen Aufnahmen, als sie bereits veröffentlicht waren, und dann setzte ich der Modelkarriere ein Ende, aber ich entdecke immer wieder eine dieser Karten in Drogerien wie Longs, und es gibt sie natürlich in Waikiki-Shops, wo niemand hingeht, den ich kenne, deshalb vergesse ich es meistens, dass der Körper meiner Tochter immer noch da draußen irgendwo verkauft wird und mit einer Briefmarke versehen an Leute in Oklahoma oder Iowa verschickt - auf der einen Seite steht Das Wetter ist schön, mir geht es gut , und auf der anderen wirft einem Alex Luftküsse zu, oder sie rekelt sich in unnatürlichen Posen in der Sonne.
    Ich sehe mich nach dem Ladenbesitzer um, aber ich bin allein. Also überprüfe ich, ob noch mehr Karten mit Alexandra da sind, aber es sind nur fünf Stück von dieser einen Aufnahme. Meine Tochter trägt einen weißen Bikini, sitzt rittlings auf einem Surfbrett und wird von einer unsichtbaren Person angespritzt, während sie mit den Händen das Wasser abwehrt. Ihr Mund ist weit aufgerissen: Sie lacht, den Kopf im Nacken. Ihr Körper ist schlank und biegsam und mit glitzernden Wassertropfen verziert. Es ist mein Lieblingsfoto, wenn ich eines aussuchen müsste - immerhin lacht sie und strahlt und tut etwas, was Mädchen in ihrem Alter tun. Auf den anderen Karten wirkt sie alt, sexy und genervt. Sie sieht aus, als wüsste sie alles, was es über Männer zu wissen gibt, und dadurch wirkt sie schlecht gelaunt, aber gleichzeitig sinnlich und obszön. Es ist ein Blick, den man nicht unbedingt bei seiner Tochter sehen möchte.
    Als ich Joanie fragte, weshalb sie ihr das erlaubt hat, antwortete sie: »Weil das mein Beruf ist. Ich möchte, dass sie respektiert, was ich tue.«
    »Du arbeitest als Model für Kataloge und Zeitschriftenwerbung. Was sollte man daran nicht respektieren?« Ich merkte gleich, dass das keine
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