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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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auch. Ich wünsche mir, dass wir uns das Gebiss röntgen lassen.«
    »Und Mom lässt sich die Zähne bleichen«, fügt Scottie hinzu.
    Ich wäre tatsächlich gern in Dr. Branchs Behandlungszimmer. Wir bekämen alle drei Lachgas und würden unsere tauben Lippen betasten. Im Vergleich zu der Situation hier wäre eine Wurzelbehandlung ein echtes Vergnügen. Eigentlich jede ärztliche Behandlung. Am allerliebsten wäre ich allerdings zu Hause und würde arbeiten. Ich muss entscheiden, wem das Land gehören soll, das sich seit circa 1840 im Familienbesitz befindet. Mit diesem Verkauf wird der gesamte Grundbesitz meiner Familie abgestoßen, und ich muss dringend die Faktenlage studieren, ehe ich mich heute in sechs Tagen mit meinen Verwandten treffe. Das ist der große Termin: vierzehn Uhr, bei Cousin Six, in sechs Tagen. Wir werden uns auf einen Käufer einigen. Es ist unverantwortlich, dass ich es so lang vor mir hergeschoben habe, über diesen Vorgang nachzudenken, aber ich glaube, unsere Familie verhält sich schon eine ganze Weile so. Wir haben unser Erbe nicht genügend beachtet; wir haben darauf gewartet, dass jemand kommt und sowohl unser Vermögen als auch unsere Schulden übernimmt.
    Ich fürchte, Scottie muss mit Esther an den Strand gehen. Ich will es ihr schon sagen - aber dann sage ich es doch nicht, weil ich mich schäme. Meine Frau liegt im Krankenhaus, meine Tochter braucht ihre Eltern, und ich muss arbeiten. Wieder einmal setze ich sie in die Badewanne.
    Ich sehe, wie Scottie ihre Mutter anstarrt. Sie steht mit dem Rücken zur Wand und zupft am Saum ihres T-Shirts herum.
    »Scottie«, sage ich, »wenn du nicht reden willst, dann können wir auch gehen.«
    »Okay, gehen wir«, sagt sie.
    »Willst du deiner Mutter nicht erzählen, was in der Schule los ist?«
    »Aber sie interessiert sich doch nicht für die Schule.«
    »Und was ist mit den Sachen, die du außerhalb des Unterrichts machst? Dein Terminkalender ist voller als der des Präsidenten. Zeig ihr doch dein Notizbuch. Oder was hast du neulich in deinem Glasbläserkurs gemacht?«
    »Eine Bong«, sagt sie.
    Ich studiere ihr Gesicht, bevor ich reagiere. Sie sieht nicht so aus, als hätte sie gerade absichtlich etwas Provozierendes gesagt. Ich weiß bei ihr nie, ob ihr bewusst ist, wovon sie redet. »Interessant«, sage ich. »Was ist eine Bong?«
    Sie zuckt die Achseln. »Ein Typ aus der Highschool hat mir gezeigt, wie das geht. Er hat gesagt, eine Bong passt gut für Chips und Salsa und überhaupt für alles Mögliche, was man so isst. Es ist’ne Art Servierschüsselchen.«
    »Hast du diese … Bong noch?«
    »Ja, so halb«, sagt sie. »Aber Mr. Larson hat gemeint, ich soll’ne Vase daraus machen. Da könnte ich Blumen reintun und dann das Ganze ihr schenken.« Sie deutet auf ihre Mutter.
    »Gute Idee.«
    Sie wirft mir einen ungnädigen Blick zu. »Du musst nicht gleich so tun, als wären wir bei den Pfadfindern.«
    »Entschuldigung.«
    Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und starre auf die Löcher in der Decke. Ich weiß nicht, wieso ich mir keine Sorgen mache, aber ich mache mir keine. Ich bin überzeugt, dass Joanie wieder gesund wird, weil sie immer alles schafft. Sie wird aufwachen, und Scottie wird wieder eine Mutter haben, und wir können über unsere Ehe reden, und ich kann meinen blöden Verdacht loswerden. Ich verkaufe das Land und kaufe Joanie ein Boot. Da ist sie bestimmt schockiert, wirft den Kopf zurück und lacht.
    »Letztes Mal hast du im Bett gelegen«, sagt Scottie.
    »Stimmt.«
    »Letztes Mal hast du mich angelogen.«
    »Ich weiß, Scottie. Bitte verzeih mir.«
    Sie redet von meinem kurzen Krankenhausaufenthalt nach einem leichten Motorradunfall. Ich bin von der Piste abgekommen, über den Lenker geflogen und in einem roten Erdhügel gelandet. Als ich nach Hause kam, erzählte ich Joanie und Scottie, was passiert war, bestand aber darauf, dass mir nichts fehlt und ich nicht in die Klink muss. Scottie machte verschiedene Tests mit mir, um zu beweisen, dass etwas mit mir nicht stimmte. Joanie machte mit. Die beiden spielten böser Bulle und noch böserer Bulle.
    »Wie viele Finger?«, fragte Scottie und zeigte mir den kleinen Finger und den Daumen. Dachte ich jedenfalls.
    »So ein Quatsch«, sagte ich. Ich wollte nicht getestet werden.
    »Antworte ihr«, sagte Joanie.
    »Zwei?«
    »Okay.« Scottie blieb misstrauisch. »Mach die Augen zu, berühre deine Nase mit dem Zeigefinger und balanciere auf einem Bein.«
    »Lass diesen

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