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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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Weile mit unseren Blicken, wie sie dahintreiben, und unsere Zeremonie scheint beendet. Doch die Blumenketten kommen sofort zurückgeschwommen und kleben außen am Kanu. Scottie nimmt sie und schleudert sie auf der anderen Seite wieder ins Meer.Wir starren noch eine Weile ins Wasser, und dann sehen wir einander fragend an: Und jetzt? Wann können wir zurückfahren?
    Vielleicht, wenn wir die Blumenketten nicht mehr sehen. Dann paddeln wir zurück. Alex setzt sich auf den vorderen Sitz, während Scottie auf dem Rand des Kanus sitzt und sich an den Ausleger lehnt.Wir blicken in Richtung Strand und beobachten unsere Blumenketten. Weit weg auf der Terrasse sehe ich Leute beim Frühstück, und ich überlege, ob wir das nicht auch tun sollten, statt heimzufahren und uns zu verkriechen. Als ich wieder ins Wasser sehe, sind die gelben Leis verschwunden. Ich nehme mein Paddel, aber dann höre ich ein Pfeifen und drehe mich zum Horizont. Ich sehe ein Partyboot, mit mehreren jungen Männern ohne Hemd. Sie haben rosarote Blumenketten um den Hals und Sonnenblenden auf dem Kopf. In den Händen halten sie Drinks in Kokosnussschalen. Ist es dafür nicht noch ein bisschen zu früh? Scottie setzt sich jetzt auf den mittleren Sitz; Alex hält sich die Hand über die Augen und späht hinüber zu dem Partyboot. Wellen schwappen gegen unser Kanu, sodass wir auf und ab hüpfen.
    »Hu-huuu!«, höre ich die Männer rufen. »Hallo-hooo!« Sie winken uns wie verrückt.
    Auf dem Bug des Schiffs tanzen junge Mädchen. Ich höre das Wummern der Musik.
    »Huuhuu! Yeah!«, schreien die Männer. Sie halten ihre Drinks hoch, als wollten sie uns zuprosten.
    Wir starren sie an, und sie glotzen zurück, ohne zu ahnen, warum wir so still sind.
    Alex beginnt zu paddeln, Scottie zieht nach, und die Jungs auf dem Boot feuern sie an: »Eins, zwei, eins, zwei!«
    Ein Typ mit einem dicken gelben Strich Zinksalbe auf der Nase nimmt seinen Lei ab und tut so, als wollte er ihn werfen. »Zeigt uns eure Titten!«, schreit er, und die anderen lachen.
    Ich steure das Kanu so, dass wir in die andere Richtung sehen. Die Mädchen paddeln. Ich habe keine Ahnung, was ihnen durch den Kopf geht. Ich hoffe nur, dass für sie der letzte Augenblick mit ihrer Mutter nicht kaputt gemacht wurde. Ich habe das Gefühl, Joanie im Stich zu lassen, als wir jetzt zum Ufer paddeln.
    »Ich liebe dich immer noch«, sagte sie eines Abends.
    Das war kurz vor dem Unfall. Wir hatten gerade das Licht ausgemacht, aber ich schlief schon fast und murmelte nur ein »Gute Nacht« als Antwort. Am Morgen drehte ich mich zu ihr, legte meinen Kopf auf ihr Kissen, und mir fiel wieder ein, was sie am Abend gesagt hatte. Ich dachte Immer noch? Sie liebt mich immer noch?
    Aber ich glaube ihr. Ich glaube ihr, dass sie mich, trotz allem, immer noch geliebt hat.
    »Es tut mir leid«, sage ich. »Das mit dem Partyboot. Aber wir hatten einen schönen letzten Augenblick. Ich hoffe, ihr findet das auch.«
    »Ich glaube, Mom hätte das gefallen«, sagt Scottie.
    »Wahrscheinlich hätte sie den Typen ihre Titten gezeigt«, sagt Alex.
    Scottie lacht, und ich weiß, dass Alex grinst.
    Die Mädchen paddeln langsam. Scottie hört nach einer Weile ganz auf und legt ihr Paddel quer über das Boot. Ihr Rücken ist gekrümmt, und sie schaut auf ihren Schoß. Ich frage mich, ob sie weint. Dann dreht sie sich um und hält die Hände hoch. »Mom ist unter meinen Nägeln.«
    Ich schaue auf ihre Finger, und ja, da ist sie.
    Alex dreht sich zu ihr, Scottie zeigt ihr ihre Finger. Alex schüttelt nur den Kopf und schaut ihre Schwester an, mit einem Blick, der zu sagen scheint: Gewöhn dich dran. Sie wird für den Rest deines Lebens da sein. Sie wird an deinem Geburtstag da sein, in der Weihnachtszeit, wenn du deine Tage bekommst, wenn du die Schule abschließt, wenn du Sex hast, wenn du heiratest, Kinder bekommst, wenn du stirbst. Sie wird da sein, und sie wird nicht da sein.
    Ich glaube, das ist es, was ihr Blick sagt. Auf jeden Fall scheint die wortlose Aussage sie und ihre Schwester zu trösten. Die Mädchen beginnen wieder zu paddeln, und der Rhythmus versetzt mich in Trance: Die Paddel stoßen ins Wasser, gleiten den Rumpf entlang, kommen wieder nach oben, Gischt fliegt durch die Luft. Platsch, wusch, zisch. Platsch, wusch, zisch . Ich denke an gestern Abend, daran, wie Scottie in ihrem Notizbuch blätterte, wie sie das Bild ihrer Mutter herausnahm und es unter meine Vorfahren platzierte.
    »Ich klebe sie ganz hinten rein«,
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