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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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Wirklichkeit geht es nur um Wut. Sie wird von den gleichen Gefühlen getrieben wie ich, glaube ich - sie hat nur einen Wunsch: Sie will das, was ihr gehört, beschützen. Das bedeutet Krieg. So ist das immer.
    Ich gehe zur Tür, öffne sie und warte darauf, dass Julie hinausgeht. Sie schaut wieder auf Joanie hinunter, und ich fürchte schon, dass ich sie mit Gewalt wegzerren muss. Sie wirft noch einen Blick auf ihren riesigen Blumenstrauß, dann kommt sie auf mich zu.
    »Er hat sie nicht geliebt«, sagt sie.
    »Ich weiß, aber Sie hat er eine Zeit lang auch nicht geliebt.«
    Sie bleibt vor mir stehen. »Ich bin gekommen. Ich hatte nicht vor, mich so zu aufzuführen. Aber - ich liebe meine Familie, das ist alles.«
    »Es geht um meine Frau«, sage ich.
    Sie wartet ab, ob ich weiterrede, aber ich habe nichts mehr zu sagen. Ich wollte sagen: Sie ist die große Liebe meines Lebens. Sie können nach Hause gehen, zu Ihrer Familie. Ich kann das nicht . Aber ich möchte nicht mehr mit ihr sprechen. In den letzten Tagen war ich vor allem damit beschäftigt, alle anderen irgendwie wegzuschicken. Geht. Bitte, geht, alle miteinander.
    Sie zögert. Vielleicht weil sie überlegt, ob sie mir die Hand reichen soll oder mich umarmen, aber ich gebe ihr zu verstehen, dass ich beides nicht will. Ich denke daran, wie ich sie geküsst habe, um meine Markierung zu hinterlassen, so wie ihr Mann seine hinterlassen hat. Mir wird richtig übel, wenn ich an diese kleinliche Vergeltungsmaßnahme denke und dass Julie vielleicht die letzte Frau ist, die meinen Kuss erwidert.
    Sie geht hinaus, und ich schließe die Tür hinter ihr. Ich betrachte ihre Blumen, den Riesenstrauß auf der anderen Seite des Zimmers. Und dann trete ich ans Bett meiner Frau, die aussieht wie ein Geist. Ich setze mich auf die Bettkante, ich nehme ihre Hand, die sich nicht mehr anfühlt wie ihre Hand. Ich berühre ihr Gesicht, betrachte ihren Mund, die feinen Linien in ihren Lippen. Ich streiche ihr mit der Handfläche über die Stirn und über den Haaransatz, so wie ihr Vater. Stumm bitte ich sie um Vergebung, aber dann denke ich, dass sie ja keine Gottheit ist und dass ich es laut sagen muss.
    »Verzeih mir«, sage ich. »Ich liebe dich. Ich weiß, wir zwei haben etwas richtig gemacht.«
    Ich habe meinen Moment ausgewählt. Ich möchte sie nicht umarmen, weil ich weiß, es wird mir nicht gefallen, dass sie meine Umarmung nicht erwidert, und ich möchte sie nicht küssen, weil sie mich nicht zurückküssen wird, aber ich küsse sie trotzdem. Ich presse meine Lippen auf ihren Mund, und dann lege ich meine Hand auf ihren Bauch, weil das die Stelle ist, von wo, glaube ich, alles kommt, die Stelle, an der ich Liebe und Schmerz,Wut und Stolz spüre, und obwohl ich es nicht so geplant habe, verabschiede ich mich von ihr. Ich beuge mich über sie, sodass mein Mund auf ihrem Hals liegt und unsere Gesichter aneinandergedrückt sind. Lebwohl, Joanie. Lebwohl, meine Liebste, meine Freundin, mein Schmerz, mein Glück. Lebwohl. Lebwohl. Lebwohl.

43
    Ich mixe den Gin Tonic und schaue hinüber zu dem großen Fenster, das den Pfeifenstrauch umrahmt. Unter dem Fenster steht das Sofa, auf dem Sids Mutter sitzt. Sie trägt Hosen und eine Bluse, und ich merke, dass sie es nicht gewohnt ist, sich so zu kleiden. Sie machte den obersten Knopf zu, knöpft ihn aber gleich wieder auf und zupft an ihrer Halskette. Ich wende schnell den Blick ab, damit sie nicht merkt, dass ich sie anstarre.
    Ich dachte:Was Sid kann, das kann ich auch. Er hat Julie angerufen, also habe ich seine Mutter angerufen. So läuft das.
    Ich bringe ihr den Drink. Es gefällt mir, dass sie etwas trinkt. Ich entscheide mich ebenfalls für einen Gin Tonic, obwohl es kalt ist und ich das eisige Glas gar nicht anfassen will. In den letzten Tagen war es überall auf der Insel ungewöhnlich kühl, mit starken Regenfällen und dunklen Wolken - das perfekte Wetter für jetzt.
    Mary umschließt das Glas mit beiden Händen und hält es fest. Ich habe vergessen, ihr einen Untersetzer zu geben, und sie hat Hemmungen, das Glas auf den Holztisch zu stellen. Ihre Cocktailserviette hat sie in der Hand zerknüllt, kleine Fetzen kleben am Glas.
    »Sie können das Glas ruhig abstellen«, sage ich.
    Sie betrachtet den langen Holztisch vor ihr, die dicken Bücher: den hawaiischen Kunstband Finding Paradise, den Weltatlas und Gesetz und Recht in Amerika . Sie versucht, die durchnässte Serviette noch zu retten, gibt dann aber auf und stellt das
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