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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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ihr unter die Decke, und Alex schließt sich uns an. Ich lehne mich zurück und schaue zu, wie eine wunderschöne Filmschauspielerin einen Oscar dafür bekommt, dass sie eine hässliche Frau gespielt hat.
    Ich stopfe mir ein paar Kissen unter den Kopf und ziehe die Decke hoch. So könnte ich ewig liegen. Scottie scheint sich wieder mit ihrem Notizbuch zu beschäftigen. Es liegt auf ihrem Bauch. Ich nehme es und blättere darin. Die Zeit vergeht. Die Zeit ist schon vergangen. Ich merke es an den Fotos - Troy an der Bar im Club, am Tag mit den portugiesischen Galeeren; Alex im Swimmingpool, wie sie Scottie anmotzt, an ihrem ersten Tag zu Hause. Unzählige Fotos von Sid, wie er alltägliche Dinge tut: Sid am Swimmingpool, Sid, der eine seiner Autozeitschriften liest, Sid, der Chips isst, Sid, der vor sich hin döst.
    »Geht Sid nach Hause?«, fragt Scottie.
    »Ja«, sage ich.
    »Bist du noch immer mit ihm zusammen?«, fragt sie ihre Schwester. »Obwohl er sich mit den Tussen abgegeben hat?«
    »Wir sind nur befreundet«, entgegnet Alex, aber in einem Anfall von Ehrlichkeit fügt sie hinzu: »Eigentlich weiß ich gar nicht, was wir sind. Ich glaube, wir sind jetzt richtig zusammen.« Sie deutet auf Scotties Notizbuch. »Da drin sind ganz schön viele Bilder von ihm.«
    »Er ist eben fotogen«, sagt Scottie. Sie nimmt das Buch wieder an sich und blättert es durch, gefesselt von ihrer Arbeit. Sie hält es ganz dicht bei sich und lässt mich nicht mehr die Seiten umdrehen. Es ist, als wäre sie die Wächterin unserer Vergangenheit. Unsere Kuratorin.
    Nächste Seite. Eine altes Foto von mir in meinem Büro, flankiert von zwei ausgeschnittenen Gegenständen, die mich definieren: Aktentasche, Bier.
    Dort werde ich jetzt viel Zeit verbringen müssen, in meinem Büro, um mein eigenes Land kennenzulernen, weil ich all die Jahre aufholen will, in denen ich das Geschenk, das uns gemacht wurde, vernachlässigt habe.
    Scottie hat mich unter meine Mutter und meinen Vater geklebt. Neben mir ist Joanie, ein Foto, das schon einige Jahre alt ist, aufgenommen nach ihrem Kanurennen von Molokai nach Oahu, lange vor Scotties Geburt. Wie gesund sie aussieht - ihre Zähne, ihre Haut, das Leuchten auf ihrem Gesicht. Sie ist jung und hübsch, sie ist glücklich, und mir wird klar, dass das Bild entstand, bevor wir uns begegnet sind.
    Ich zerwuschle Scotties Haare, und sie schmiegt sich an mich.
    »Du bist unsere Bewahrerin«, sage ich. »Unsere Familienhistorikerin.«
    »Mrs. Chun sagt bestimmt, es ist kein richtiges Notizbuch. Ich habe keine Materialien, außer Fotos, und keinen Text.«
    »Mir gefällt es«, sage ich.
    »Mir auch.«
    »Wann gehen wir morgen los?«, will Alex wissen.
    »Früh«, sage ich.
    »Und wenn es immer noch regnet?«
    »Dann gehen wir trotzdem«, sage ich. »Wir müssen.«
    Die Asche befindet sich in einem Kästchen. Das Kästchen ist in einem violetten Beutel, und wenn mein Blick auf diesen Beutel fällt, muss ich immer an teuren Whiskey denken, und dann denke ich: Nein. Das ist Asche. Die Asche meiner Frau .
    Ich bin mir nicht sicher, wie sich die Mädchen verabschiedet haben, wie ihr letzter Augenblick aussah, und ich möchte sie nicht fragen, weil es mir wehtäte, es zu erfahren. Jede war für sich. Beide haben etwas gesagt, und als sie wieder herauskamen, haben sie mich fragend angeschaut, wie wenn ich die Antwort wüsste. Dann sind wir nach Hause gefahren. Scottie machte den Fernseher im Arbeitszimmer an. Alex ging in ihr Zimmer, ich in meines, aber ich hielt es nicht aus in meinem Bett, deshalb wollte ich zu Scottie, um mit ihr fernzusehen, und Alex lag schon neben ihr, und ich wusste: Das ist jetzt der beste Ort für uns drei. Joanie muss auf uns gewartet haben. Nachdem wir uns alle verabschiedet hatten, starb sie am nächsten Tag.
    Fotos von Verstorbenen, die im Filmbusiness gearbeitet haben, huschen über den Bildschirm. Manche bekommen rauschenden Beifall, bei anderen ist es eher still.
    Scottie klopft mit den Zehen gegen mein Schienbein.
    »Du hast kalte Füße«, sage ich.
    Sie drückt den ganzen Fuß gegen mein Bein, und mich fröstelt. »Lass das«, sage ich.
    Sie lacht laut, und ich strecke den Arm aus, sodass meine Hand auf ihrem und auf Alex’ Kopf liegt. Es fühlt sich so ähnlich an wie die berechnende, schüchterne Annäherung bei einem ersten Date.
    Ich muss daran denken, wie ich mit Joanie den abgeschiedenen Strand des Kahala Resorts entlanggegangen bin. Wir hatten im Hoku’s zu Mittag gegessen
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