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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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besonders gelungene Antwort war.

    Eine Chinesin betritt den Laden und geht hinter die Kasse. »Sie wollen bezahlen?«, fragt sie.
    Sie trägt einen fast knöchellangen Muumuu über dunkelblauen Polyesterhosen. Irgendwie sieht sie aus, als wäre sie einer Anstalt entlaufen.
    »Warum verkaufen Sie diese Karten hier?«, frage ich sie. »In einem Geschenkeshop. Für Menschen, die gesund werden wollen. Das sind doch keine Genesungswünsche.«
    Sie nimmt mir die Postkarten aus der Hand und betrachtet sie. »Sind alle gleich. Sie wollen lauter gleiche Karten?«
    »Nein«, sage ich, »ich will wissen, wieso Sie diese Karten in einem Geschenkeladen hier im Krankenhaus verkaufen.«
    Mir ist klar, dass dieses Gespräch zu nichts führt. Es wird höchstens ein konfuses Gezerre in Pidgin-Englisch.
    »Was? Sie lieben nicht Mädchen oder wie?«
    »Doch«, entgegne ich, »ich mag Frauen. Aber nicht minderjährige Mädchen. Hier.« Ich nehme eine Karte, auf der Gute Besserung, Großpapa steht. »Solche Karten gehören hierher.« Ich halte meine Tochter hoch. »Die hier passt nicht. Es ist eine Ansichtskarte.«
    »Das mein Laden. Und Menschen im Krankenhaus sind auch von auswärts. Sie haben Schmerzen hier, dann geht es besser und wollen Souvenir für Festland.«
    »Sie wollen ein Souvenir von ihrer Reise ins Krankenhaus? Ich bitte Sie! Ach, egal. Hier.«
    Sie nimmt die Postkarten und geht zum Kartenständer.
    »Nein«, sage ich. »Ich kaufe sie. Alle fünf. Und die beiden Getränke.«
    Sie bleibt stehen. Offenbar ist sie verwirrt, versteht gar nichts mehr, aber sie sagt kein Wort und schaut mich auch nicht an, als sie den Preis in die Kasse eintippt. Ich gebe ihr einen Schein. Sie gibt mir das Wechselgeld.
    »Ich brauche eine Tüte, bitte«, sage ich. Sie reicht mir eine Plastiktüte, und ich nehme sie, um meine Tochter zu bedecken. »Danke.«
    Die Frau dreht den Kopf, würdigt mich aber keines Blickes, sondern widmet sich der Kasse. Irgendwie gerate ich immer in Streit mit älteren Chinesinnen.
    Ich gehe zurück zu Zimmer 612, zu meiner anderen verrückten Tochter. Es fühlt sich komisch an, Postkarten von Alex mit mir herumzutragen: Sie war die ganze Zeit hier, und ich habe sie jetzt erst gerettet.
    Joanie und Alex haben Probleme. So formuliert Joanie es jedenfalls, wenn ich sie danach frage. »Sie wird daraus herauswachsen«, sagt Joanie, aber ich denke immer, es ist etwas, woraus auch Joanie herauswachsen muss. Früher haben die beiden alles gemeinsam gemacht, und ich würde denken, dass es toll für Alex war, eine Mutter wie Joanie zu haben, weil Joanie jung, cool und modebewusst war, aber etwa um die Zeit, als Alex aufhörte, als Model zu arbeiten, war auch Schluss mit dieser Nähe.
    Alex zog sich zurück. Joanie interessierte sich stärker für Motorbootrennen. Alex haute abends heimlich ab. Dann fing sie mit Drogen an. Es war Joanies Idee, sie im vergangenen Schuljahr auf ein Internat zu schicken. Im Januar sollte Alex eigentlich nach Hause kommen und wieder auf ihre alte Schule gehen. Aber an Weihnachten passierte irgendetwas, Alex hatte Streit mit ihrer Mutter, und plötzlich fand sie das Internat gut und kehrte freiwillig dorthin zurück. Ich habe die beiden öfter gefragt, worum es bei dem Streit ging und warum Alex wieder ins Internat wollte, aber ich habe nie eine richtige Antwort bekommen. Was die Schulen betrifft und überhaupt bei allem, was mit unseren Töchtern zusammenhängt, trifft sowieso Joanie die Entscheidungen, deshalb hörte ich auf zu fragen. »Sie muss sich erst mal wieder fangen«, sagte Joanie. »Sie geht zurück.«
    »Das war’s«, erklärte Alex. »Mom hat den Verstand verloren. Ich möchte nichts mehr mit ihr zu tun haben, und du solltest es genauso machen wie ich.«
    So viel Dramatik! So viel Spannung zwischen den beiden! Für mich ist es traurig, weil ich Alex und die Beziehung, die wir früher hatten, sehr vermisse. Manchmal denke ich, wenn Joanie sterben sollte, dann wäre das für Alex und mich gar nicht so schlecht.Wir würden aufblühen. Wir würden einander vertrauen, voller Zuneigung, so wie früher, leicht und unproblematisch. Sie könnte wieder nach Hause kommen, und sie würde nicht mehr durchdrehen. Aber im Grund glaube ich natürlich nicht, dass unser Leben besser wäre, wenn meine Frau sterben würde - was für ein entsetzlicher Gedanke -, und ich glaube auch nicht, dass die Ursachen für Alexandras Schwierigkeiten bei Joanie liegen. Bestimmt trage ich das Meine dazu bei. Ich bin
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