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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen
Autoren: Christian Ditfurth
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Platzhirschgehabe, das sich in Wort- und Satzmonstern offenbarte und darauf aus war, die Leser zu beeindrucken. Als er von verbalem Imponiergehabe sprach, sah er, wie sich Hartmanns Gesicht verfinsterte. Die Studentin neben ihm starrte auf die Tischplatte vor ihr. Als er fertig war, wusste er, dass er es falsch gemacht hatte.
    Hartmann stand auf und verließ den Raum. Die anderen schauten irgendwohin, nur nicht zu Stachelmann. Keiner protestierte, Stachelmann hätte mit Widerspruch besser umgehen können als mit Schweigen. Er fühlte, er war zu weit gegangen, auch wenn er in jedem Punkt Recht hatte. Aber es war nicht fair, den lang angestauten Ärger über die Angeberei mancher Kollegen an einem Studenten auszulassen, der sie nur nachgeäfft hatte.
    Der Rest des Seminars zog sich zäh hin, Stachelmann war erleichtert, als es zu Ende war. Er blieb auf seinem Platz sitzen, als die Studenten den Raum verließen. Hartmanns Nachbarin blieb als Einzige im Raum. »Selbst wenn Sie mich jetzt auch fertig machen, ich fand es unter aller Kanone, was Sie mit Walter gemacht haben. Das hätte ich nie geglaubt von Ihnen.« Sie drehte sich weg und ging. Er hätte es auch nicht gedacht von sich.
    Er saß einige Minuten, die Gedanken rasten durch sein Hirn. Gesichterfolgen wie in einer Diashow. Ines, Anne, Walter Hartmann, dessen Nachbarin, die als Einzige den Mut aufbrachte, ihren Kommilitonen zu verteidigen. Er war traurig, weil es ihm zum ersten Mal nicht gelungen war, sich im Seminar zu beherrschen. Es nutzt nichts, Recht zu haben, wenn man nicht überzeugen kann. Dann redete er sich ein, die Aufregung werde sich legen. Vielleicht war sein Auftritt sogar nützlich gewesen, und die Teilnehmer würden später begreifen, was er ihnen beibringen wollte. Mochte auch sein, dass sich manche künftig überlegten, ob sie ein Seminar von ihm besuchen sollten. Seine Veranstaltungen waren ohnehin zu voll.
    Er packte seine Sachen in die Aktentasche und ging zurück in sein Zimmer. Es drängte ihn, Ines anzurufen.
    Zwar kannte er ihre Telefonnummer nicht, aber Renate Breuer hätte ihm gewiss gleich die Nummer des neuen Kollegen gegeben. Ob Ines oft fremdging? Tat sie es, um sich an ihrem Mann zu rächen, weil der seinen Willen durchsetzte? Warum war sie mitgekommen nach Hamburg, wenn es ihr in Berlin besser ging und die Ehe längst brüchig war? Viele hingen an Beziehungen, die bereits verloren waren. Beendet werden sie meist zu spät. Stachelmann erinnerte sich gut, bei ihm war es nicht anders. Von außen sahen die Dinge oft klar aus. Er mühte sich, die Gedanken an Ines und Hartmann zu verdrängen und noch zwei Hausarbeiten zu korrigieren. In der nächsten Seminarsitzung wollte er besonders aufmerksam und freundlich sein und sich vielleicht sogar entschuldigen für seinen Auftritt. An die Arbeit, befahl er sich.
    Als er die erste Hausarbeit fast zu Ende gelesen hatte, klingelte das Telefon. Gleich dachte er an Ines, aber es war Bohming. Der fragte, ob Stachelmann kurz vorbeischauen könne. Stachelmann hatte keine Ahnung, was Bohming wollte. Vielleicht einfach nur ein bisschen angeben, manchmal brauchte der Sagenhafte das.
    Es standen noch ein paar Platten mit Schnittchen auf dem langen Tisch an der Wand. Dazwischen schmutzige Gläser. Dem Chaos gegenüber saß Bohming hinter seinem Schreibtisch, auf dem nichts lag außer einem Kugelschreiber. Stachelmann setzte sich auf den Besucherstuhl. Das Tischchen, an dem Bohming sonst seine Gespräche führte, war übersät mit schmutzigen Tellern und Gläsern.
    Bohming schnaufte. »Ich freue mich schon auf morgen früh, wenn der Dreck weggeräumt ist. Er fängt schon an zu stinken.«
    Stachelmann nickte. »Es kommt ja nicht jeden Tag ein Neuer.«
    »Es gäbe auch nur wenige, über die ich mich freuen würde. Der Wolf Griesbach passt gut zu uns, ich habe das gleich gemerkt.« Bohming rühmte sich gern seiner Menschenkenntnis. Er strich über seinen Bauch, der im Sitzen nach oben gedrückt wurde. Stachelmann fiel die reich verzierte Gürtelschnalle auf, die sich unter der Strickjacke hervordrängte. »Ich glaube, der Lehmann ist noch ein bisschen skeptisch, aber das wird sich legen. Und was meinst du, Josef?«
    »Ach, am Anfang guckt sich jeder einen Neuen erst mal an. Und mancher befürchtet, es ändern sich die Konstellationen. Andere mögen hoffen, dass sie sich ändern. Ich finde den Kollegen Griesbach nett, und er hat ordentlich publiziert. Das wird schon klappen.« Er spürte seine Anspannung.
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