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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen
Autoren: Christian Ditfurth
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fast wie im Hotel.«
    Der Gefangene schwieg. Er wusste, was die beiden bezweckten mit ihrem Gerede. Sie wollten ihn weich kochen. Ihn provozieren. Sie hatten schon Hunderte Male Gefangene bearbeitet. Für die war er nur einer in einer langen Reihe. Der Gefangene nahm sich noch einmal vor zu schweigen. Aber er spürte, dass ihn sein Wissen über die Absichten der anderen nicht schützte vor der Wirkung ihrer Methoden.
    Der Major ging.
    »Sehen Sie«, sagte Kurbjuweit, »da haben Sie aber keinen guten Eindruck hinterlassen beim Major. Der entscheidet übrigens, ob die Untersuchungshaft auf Ihre Zeit im Vollzug angerechnet wird. Meine Prognose und Erfahrung: Wenn Sie schweigen, wird sie nicht angerechnet, wenn Sie reden, wird sie angerechnet. Wir spielen hier mit offenen Karten, tun Sie das auch.«
    Dann schwiegen sie. Der Vernehmer schrieb etwas auf. Er trank Kaffee und zündete sich eine Zigarette an. Der Gefangene betrachtete die Einrichtung des Zimmers. Links in der Ecke ein Safe, auf dem Schreibtisch ein großes Telefon mit vielen Knöpfen. Hinter dem Vernehmer ein niedriger Aktenschrank, darauf eine Topfpflanze. An der Wand ein Bild, das der Gefangene als Porträt Feliks Dserschinskis erkannte, der den sowjetischen Geheimdienst, die Tscheka, gegründet hatte. Die Büromöbel stammten aus derselben Fabrik wie alle Büromöbel im Land.
    Dann hob der Vernehmer den Kopf. »Lassen Sie uns doch vernünftig miteinander reden. Solange Sie nicht aussagen, sitzen Sie in dem Betonloch. Wir können das ewig mit Ihnen machen. Ich erwarte ja gar nicht, dass Sie alles zugeben. Eigentlich reichen uns die Beweise, die wir haben. Aber ich will ein vernünftiges Protokoll mit Ihnen aufschreiben. Ich will diesen Fall bald abschließen, und in Wirklichkeit wollen Sie das auch.«
    »Was für Beweise?«, fragte der Gefangene und ärgerte sich gleich, dass er gesprochen hatte.
    »Na sehen Sie, es geht doch.« Der Vernehmer legte ein Blatt auf den Tisch. Der Gefangene erkannte seine Schrift. Es war ein Brief, den er nach Westberlin geschickt hatte. Dieser Brief beweise sein Verbrechen, sagte der Vernehmer, alle weiteren Beweise erübrigten sich eigentlich. Aber sie hätten, weil sie gründlich seien und in einem Rechtsstaat lebten, weitere Beweise gesammelt, die ausreichten, ihm viele Jahre Gefängnis einzubringen. Als der Gefangene kurz aufblickte, legte der Vernehmer ein Taschenmesser in einem durchsichtigen Plastikbeutel auf den Tisch. »Bewaffneter Grenzdurchbruch«, sagte er. »Das sind schon ein paar Jahre mehr.« Daneben legte er den Führerschein des Gefangenen. »Unter Nutzung technischer Hilfsmittel. Noch mehr.« Es folgten Fotos von Menschen.
    »Im organisierten Zusammenwirken«, sagte er. »Was hier auf dem Tisch liegt, reicht für acht oder neun Jahre Bautzen zwo. Noch nicht eingerechnet die staatsfeindliche Verbindungsaufnahme. Glauben Sie nicht, dass Sie da früher rauskommen oder gar abgeschoben werden in den Westen. Wir sind kein Reisebüro. Wir passen auf, dass solche Typen wie Sie uns nicht alles kaputtmachen. Sie wissen nicht, was Bautzen zwo ist? Sie werden es erleben. Wenn Sie weiter schweigen.« Er schaute den Gefangenen böse an. Dann hellte sich sein Gesicht auf. »Wenn Sie aussagen, wer die Hintermänner waren und die Verbindungsleute im Westen, dann könnten wir über ein paar Jahre Nachlass sprechen. Arbeiten Sie mit uns zusammen, es hilft vor allem Ihnen. Wir sind keine Unmenschen.«
    Dem Gefangenen fiel ein, dass Unmenschen behaupten mussten, sie seien keine Unmenschen, um sich selbst davon zu überzeugen. Gute Menschen würden ihre Gefangenen nicht in Betonhöhlen einsperren. Sie würden ihnen nicht verbieten, sich ohne Befehl auf die Pritsche zu legen. Aber er sagte nur: »Sie haben meine Wohnung durchsucht. Dürfen Sie das?«
    Da lächelte der Vernehmer freundlich. »Wir sind ein Untersuchungsorgan. Wir untersuchen Verbrechen gegen unseren Staat, dem Sie so viel zu verdanken haben. Und zum Untersuchen gehört es nun mal, dass wir Wohnungen durchsuchen. Das ist klar.« Er zeigte auf die Gegenstände auf dem Tisch. »Wir können ein paar davon verschwinden lassen. Dann wird es leichter.« Er nahm das Messer vom Tisch, dann die Fotos, dann den Führerschein. »Jetzt wird es nicht mehr Bautzen zwo. Und wenn Sie künftig mit uns zusammenarbeiten, dann sammeln Sie gewissermaßen Pluspunkte. Aber Sie müssen uns Ihre Kontaktpersonen im Westen nennen. Und wie Sie das mit Ihren Komplizen hier organisiert haben.«
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