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Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
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diesem geschenkten freien Nachmittag die Stadt zu zeigen.
    Isa wünscht sich eine Stadtrundfahrt; im Gegensatz zu meinen Lübecker Lehrern haben ihre in Tübingen nicht jedes Jahr die Berlin-Karte gezogen und sie kennt die Stadt kaum. Jenny winkt ab, als Isa am Alexanderplatz auf einen Sightseeing-Bus zuhält. Stattdessen zerrt sie uns in den Doppelstock-Bus der Linie 100. Isa und ich verstehen noch gar nicht, was los ist, da erstürmt Jenny schon die Treppe in den oberen Busbereich und stürzt mit einem Hechtsprung nach vorn. Als wir ihr perplexfolgen, werden wir gerade noch Zeuge, wie Jenny mit vollem Ellbogeneinsatz alle anderen Fahrgäste beiseiteschiebt und sich – einen Sekundenbruchteil vor zwei empörten Russinnen – atemlos auf die Sitze der ersten Reihe wirft. »Besetzt!«
    Isa und ich nehmen überrascht Platz – und begreifen: Die Front der oberen Bus-Etage ist ein einziges Fenster und in der ersten Reihe thronen wir hoch über der Straße, während vor, unter und neben uns die Stadt vorbeizieht. Berlin liegt uns zu Füßen. Die Route führt Unter den Linden und am Reichstag vorbei bis zum Zoo. Zufrieden registriert Jenny unsere Begeisterung. Tausendmal besser als die öden Sightseeing-Touren, viel billiger und noch dazu mit echtem Berliner Flair. Isa macht Handy-Fotos von den Sehenswürdigkeiten, als hätte sie noch nicht begriffen, dass sie das hier jetzt jeden Tag haben kann. Jenny hingegen schaut kaum nach draußen. Wenn sie nicht damit beschäftigt ist, andere Fahrgäste (die auch mal die Aussicht genießen wollen) mit dem Hinweis zu demotivieren, dass wir noch lange nicht aussteigen, tippt sie ununterbrochen in ihr Handy. Als ich sie frage, wem sie so ausdauernd schreibt, grinst sie nur. »Allen, die ich kenne.« Mehr will sie nicht verraten. Na gut, dann widme ich mich eben wieder dem beängstigenden Verkehr da unten.
    Nach der Busrundfahrt schleppt Jenny uns zum Einkaufen. In einem zauberhaften Altbauviertel reiht sich ein bunter Laden an den nächsten. Modedesigner mit schrägen Modellen, Schnickschnack-Läden mit herrlich überflüssigen Dingen, Cafés und Galerien, Schuhläden, Second-Hand-Shops. Isa und ich machen Staune-Augen. So muss Shopping sein! Isa ist natürlich zu vernünftig für Impulskäufe – aber ich kann weder einem Paar High Heels noch einer blumenbestickten Tasche widerstehen (neues Leben, neuer Style) und frage mich bald, wie ich hier mit meinem spärlichen Kapital auskommen soll. Als wir erschöpft bei einem Ingwershake rasten, eröffnet Jenny uns endlich, was es mit ihrem manischen SMS-Getippe im Bus auf sich hatte: Sie hat eine Party organisiert.
    Wo? Wann?
    Â»Heute«, sagt Jenny zufrieden. »Jetzt gleich. In unserer Wohnung.«
    Isa und ich fallen aus allen Wolken. Wie sollen wir eine Party geben?! Die Bude steht voller Kartons, wir haben noch nicht mal Lampen angebracht. Aber Jenny lächelt nur. »Deshalb schmeißen wir ja die Party. Ich hab ein paar clevere Jungs eingeladen, denen unsere Elektrik garantiert keine Probleme macht. Und außerdem müsst ihr jede Menge Leute kennenlernen.« Dass wir nicht mal was zu essen eingekauft haben, stört sie auch nicht. »Die bringen alles mit. Wir müssen nur hingehen und die Hauptpersonen sein.«
    Nach einer kurzen Schrecksekunde überwiegt bei mir doch die Begeisterung. Wie toll, dass ich bei meiner Suche-WG-Annonce ausgerechnet auf Jenny gestoßen bin! Klar, wenn sie uns vorgewarnt hätte, hätte ich Zeit gehabt, mir den Kopf über ein angemessenes Outfit für meine erste Berlin-Party zu zerbrechen. Aber immerhin besitze ich ja seit eben ein Paar sensationeller High Heels.
    Jenny hat nicht übertrieben, die Wohnung ist voll. Lauter Leute, die Jenny abküssen und Isa und mich begrüßen, als würden wir uns schon ewig kennen. Sie haben tatsächlich auch noch die Verpflegung mitgebracht – vom Rührkuchen bis zum Kartoffelsalat ist alles da, jemand hat sogar bergeweise Sushi angeschleppt. Isa und ich haben überstürzt den Spätshop an der Ecke geplündert, aber in der Menge des Mitgebrachten gehen unsere überteuerten Verlegenheitseinkäufe völlig unter. Jenny geniert sich nicht, gleich auf die unerledigten Behelfsmäßigkeiten in unserer Wohnung hinzuweisen und ehe ich mich’s versehe, schrauben zwei flotte Jungs in meinem Zimmer die Regale
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