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Miramar

Titel: Miramar
Autoren: Nagib Machfus
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das Todesurteil über die Liebe verhängten,
über die Liebe, die Millionen Jahre vor jeder Religion auf diese Welt kam.
    »Maulaja, ich möchte nach dem Brauch
Gottes und seines Gesandten ein Mitglied Eurer Familie werden.«
    Er schwieg. Eine Tasse Kaffee stand
unberührt zwischen uns. Ich fuhr fort:
    »Ich bin Journalist, habe einiges
Vermögen, bin der Sohn eines Scheichs, der Diener in der Moschee unseres Herrn
Abul Abbas al-Mursi war.«
    »Gott erbarme sich seiner«, entgegnete
er, »er war ein frommer, gottesfürchtiger Mann.« Die Gebetskette fest
umklammernd, fuhr er fort: »Mein Sohn, du warst einer von uns. Du warst eine
Zeitlang Stipendiat der Azhar.«
    Wann würde das jemals vergessen sein,
diese alte Geschichte!
    »Dann wurdest du von der Azhar
gewiesen. Du erinnerst dich?«
    »Maulaja, das ist doch längst vorbei.
Damals konnte man wegen der geringsten Lappalie verwiesen werden. Wenn sich zum
Beispiel einer in jugendlichem Temperament dazu verleiten ließ, einmal abends
auf das Podium eines Musikanten zu steigen. Es reichte auch, eine freimütige
Frage zu stellen.«
    »Kluge Leute haben ihn dann verurteilt,
weil er abscheulicher Dinge bezichtigt wurde«, sagte er eisig.
    »Maulaja, wer kann einen Menschen der
Ketzerei bezichtigen, wo doch niemand als Gott das menschliche Herz kennt?«
    »Das kann der sehr wohl, dem Gott die
rechte Leitung zuteil werden läßt!«
    Verdammt, wer will von sich behaupten,
daß er sich im Glauben wirklich auskennt? Gott hat sich den Propheten offenbart,
wir aber sind solcher Offenbarungen weitaus bedürftiger als sie. Denn wenn wir
tastend nach dem rechten Platz in dem großen Haus suchen, das man die Welt
nennt, muß uns der Schwindel befallen.
    Wir wollen uns vor
Trägheit hüten. An einem sonnigen Morgen spazierenzugehen, ist erquicklich. Wie
schön sind die warmen Tage im Palma und im Pelikan! Selbst wenn du ganz allein
zwischen mehreren Generationen einer Familie sitzt. Der Vater liest die
Zeitung, die Mutter stickt, und die Söhne spielen. Wenn doch einfallsreiche
Leute für Alleinstehende ein Gerät erfunden hätten, das sich mit ihnen
unterhält, oder einen Roboter, der mit ihnen Tricktrack spielt. Oder wenn man
ihnen neue Augen einsetzte, mit denen sie sich noch einmal in die Blumen dieser
Erde und in alle Farben des Himmels verlieben könnten!
    Wir lebten ein langes Leben voller
Ereignisse und Gedanken. Mehr als einmal wollten wir sie in Tagebüchern
aufzeichnen, wie es unser alter Freund Achmed Schafiq Pascha getan hat. Aber
wir haben diesen Vorsatz nie in die Tat umgesetzt, und dann verlor er sich irgendwo
zwischen dem Aufschieben und dem Hoffen auf später. Heute ist von diesem alten
Vorsatz nur noch die Wehmut über das geblieben, was nun endgültig verloren ist,
denn meine Hand ist zittrig geworden, mein Gedächtnis schwach, meine Kräfte
sind geschwunden. Heimgegangen zur ewigen Ruhe sind für mich heute meine
Erinnerungen an die Azhar, ist meine Freundschaft mit dem Scheich Ali Machmud,
mit Zakarija Achmed und Sajjid Darwisch, ist die Volkspartei mit dem, was mir
an ihr gefiel und was mich an ihr störte, ist die Nationale Partei mit ihren
Aufschwüngen und ihren Torheiten, ist die Wafd-Partei mit ihrem die Zeit
überdauernden internationalen revolutionären Denken, ist das Parteiengezänk,
das mich im Schneckenhaus kühler, wirkungsloser Neutralität Zuflucht suchen
ließ, sind die Muslimbrüder, die ich nicht mochte, die Kommunisten, die ich
nicht verstand, ist die Revolution mit ihrer Tragweite und ihrer
Absorptionsfähigkeit für alle politischen Strömungen, die es vorher gab, vorbei
sind auch meine Liebesabenteuer und die Mohammed-Ali-Straße mit ihren Lokalen,
ist schließlich gar mein Widerwille gegen die Ehe. Wenn meinen Erinnerungen
beschieden gewesen wäre, niedergeschrieben zu werden, es wären wirklich
Denkwürdigkeiten.
    Voller Wehmut ging ich zum Atheneus, zu
Pastroudis und in den Antoniadis-Garten. Ich setzte mich eine Weile in die
Halle des Windsor-und des Cecil-Hotels, wo sich in früheren Zeiten die Paschas
und die ausländischen Spitze trafen, damals der beste Platz, um Neuigkeiten zu
hören und Ereignisse zu verfolgen. Aber ich sah nur wenige Ausländer,
Orientalen sowohl als Europäer. Als ich zurückkam, erfüllten mich zwei Gebete
zu Gott, das eine, daß er mir gnädig bestimmen möge, meine Glaubensprobleme zu
lösen, und das andere, daß er mir keine Krankheit schicken möge, die mir die
Fähigkeit nahm, mich zu bewegen, ohne daß
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