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Miramar

Titel: Miramar
Autoren: Nagib Machfus
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I. Amir Wagdi
    Alexandria. Endlich!
    Alexandria, ein Tropfen hellen Taus, Speichel
weißer Wolken. Die Stadt des Sonnenlichts, von Himmelswasser glänzend rein
gewaschen, das Herz von Erinnerungen, voll der Süße des Honigs und der
Bitternis von Tränen.
    Das riesige, hohe Gebäude sieht dich an
wie ein altvertrautes Gesicht, das sich in dein Gedächtnis eingegraben hat und
dir gut bekannt ist. Aber es schaut gleichgültig ins Nichts, scheint dich nicht
wiederzuerkennen. Düster die Wände, deren Farbe durch die viele Feuchtigkeit
abgeblättert ist. Sie blicken auf die von Palmen und Dattelpalmen umsäumte
Landzunge, die sich weit hinaus ins Mittelmeer erstreckt bis dahin, wo in der
Saison die peitschenden Schüsse der Jagdflinten ertönen. Der starke,
erfrischende Wind weht meinen schmalen, gebeugten Körper fast um. Er stößt
nicht mehr — wie früher — auf ernsthaften Widerstand.
    Mariana, meine liebe Mariana! Ob ich
dich wiederfinde in deiner Zufluchtsstätte? Ich vermute, daß du dort bist,
hoffe es. Wenn nicht, so sage ich besser mir und meiner Welt ade. Denn es ist
nur noch wenig geblieben, und das Leben dreht sich seltsam im Kreis für Augen
wie meine, die matt geworden sind und wimpernlos unter den weißen Brauen.
    So bin ich endlich wieder bei dir,
Alexandria.
    Ich drückte den Klingelknopf vor der
Wohnung im vierten Stock. Das Guckloch in der Tür wurde aufgeschoben, und ich
sah das Gesicht von Mariana. Du hast dich sehr verändert, meine Liebe, und
erkennst mich nicht im dunklen Gang. Aber deine klare weiße Haut und dein
blondes Haar schimmern im Licht, das durch ein Fenster im Inneren der Wohnung
fällt.
    »Ist das die Pension Miramar?«
    »Ja, mein Herr!«
    »Ich möchte ein Zimmer.«
    Nun wurde mir die Tür geöffnet. Das
bronzene Jungfrauenbild empfing mich. Und da war irgendein Duft, der mir doch
hin und wieder gefehlt hatte. Wir standen da und sahen uns an. Groß und schlank
bist du wie früher, und dein Haar ist blond, und gesund siehst du aus. Aber
deine Schultern sind gebeugt, und dein Haar ist sicherlich gefärbt. Die Adern
auf deiner Hand und die Fältchen um deine Mundwinkel zeigen mir, daß du alt
geworden bist. Du bist jetzt etwa fünfundsechzig, meine Liebe, aber die
Schönheit hat dich noch nicht ganz verlassen. Erinnerst du dich denn noch an
mich?
    Zuerst blicktest du mich mit rein
geschäftlichem Interesse an, dann sahst du genauer hin. Die Lider über deinen
blauen Augen zuckten. Ja, jetzt erinnerst du dich, und ich gewinne mein
verloren geglaubtes Leben zurück.
    »Ist das möglich — Sie?«
    »Madame!«
    Wir schüttelten uns herzlich die Hände.
Die Rührung überfiel sie so, daß sie laut auflachte, laut lachte wie die Frauen
der Anfuschi. Doch sie fing sich sofort wieder. »Ist denn das die Möglichkeit,
Amir Bey, Ustas Amir!«
    Wir setzten uns auf das schwarze
Kanapee unter das Jungfrauenbild, und unsere beiden Schatten zeichneten sich schemenhaft
in der Scheibe des Bücherschranks ab, der nur zur Zierde dastand.
    Ich schaute mich um und sagte: »Das
Entrée ist so geblieben, wie es war!«
    »Aber nein, es ist schon einige Male
renoviert und verändert worden!« protestierte sie und zeigte stolz: »Sehen Sie
denn nicht den Kronleuchter und den Wandschirm und dort das Radio?«
    »Ich bin ganz einfach glücklich,
Mariana, Gott sei Dank sind Sie bei guter Gesundheit!«
    »Und Sie hoffentlich auch, Monsieur
Amir, toi, toi, toi!«
    »Der Dickdarm und die Prostata machen
mir zu schaffen, aber trotzdem, ich kann nicht klagen!«
    »Sie kommen zur Nachsaison?«
    »Nein, ich bin gekommen, um für immer
zu bleiben!« sagte ich ernst.
    »Wann haben wir uns eigentlich zum
letzten Mal gesehen?«
    »Das war vor ... Sagten Sie, um für
immer zu bleiben?«
    »Ja, meine Liebe! Ich habe Sie das
letzte Mal vor etwa zwanzig Jahren gesehen.«
    »Und Sie haben sich dieses ganze Leben
lang nicht hier blicken lassen!«
    »Ich hatte viel zu tun und eine Menge
Sorgen.«
    »Ich bin sicher, daß Sie in all diesen
Jahren immer wieder in Alexandria gewesen sind.«
    »Manchmal schon, aber ich hatte sehr
viel zu tun. Sie wissen doch, wie es mit den Journalisten ist.«
    »Sicher, aber ich kenne auch die Männer
und ihre Ausflüchte.«
    »Mariana, meine Liebe, Sie sind für
mich Alexandria, nur Sie!«
    »Natürlich haben Sie geheiratet?«
    »Nein, noch nicht.«
    »Und wann werden Sie endlich Ihre
Absicht in die Tat umsetzen?« fragte sie lachend.
    »Ich will weder eine Ehe noch Kinder«,
entgegnete ich leicht
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