Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Miramar

Titel: Miramar
Autoren: Nagib Machfus
Vom Netzwerk:
ich jemanden fände, der mich dann an
der Hand führte.
    Wie reizend war dieses
Bild, das so viel Jugendlichkeit ausstrahlte: Sie stand mit dem linken Bein auf
dem Boden, hatte das rechte Knie auf den Sitz gelegt und lehnte sich an die
Stuhllehne, sich mit den Handgelenken aufstützend. Sichtlich stolz auf ihre
Schönheit, lächelte sie in die Kamera. Der Ausschnitt des klassischen weiten
Kleides gab den langen, schlanken Hals und ein marmorgleiches Dekolleté frei.
    Jetzt hatte sie ihren schwarzen Mantel
angezogen und einen blauen Schal umgelegt. Sie wollte zum Arzt gehen, hatte
sich aber noch einmal hingesetzt, denn es war noch zu früh, um loszugehen.
    »Sagten Sie nicht, die Revolution hätte
Sie um Ihr Vermögen gebracht?« fragte ich sie.
    Sie hob die Augenbrauen hinter den
Brillengläsern und fragte zurück: »Ja, haben Sie denn nicht von der
Aktienkatastrophe damals gehört?« Vielleicht sah sie die Wißbegier in meinem
Blick und konnte sich vorstellen, was mir durch den Kopf ging, denn sie
erklärte: »Alles, was ich während des Zweiten Weltkrieges erworben hatte, ging
damals verloren. Glauben Sie mir, ich habe es nur durch meinen Mut verdient,
als ich nämlich beschloß, in Alexandria zu bleiben, während es die meisten
anderen aus Furcht vor deutschen Angriffen verließen und nach Kairo oder aufs
Land gingen. Ich strich einfach die Fensterscheiben blau an und zog die
Vorhänge zu. Getanzt wurde bei Kerzenschein. Großzügiger und spendierfreudiger
als damals die Offiziere des Empire ist gewiß niemand. «
    Ich fand mich allein, nachdem sie
fortgegangen war, und blickte ihrem ersten Mann in die Augen, so, wie er auch
mich ansah. Wer mag dich wohl getötet haben und mit welcher Waffe? Wie viele
von unserer Generation hast du umgebracht, bevor man dich umbrachte? Von
unserer guten alten Generation, die so viele Opfer bringen mußte wie keine
andere.
    Immer noch ertönte französische
Musik. Was das Schicksal mir in meiner Einsamkeit zumutet, ist wirklich
grausam. Mariana hatte ein heißes Bad genommen, als sie vom Arzt zurückkam.
Jetzt saß sie da, in einen weißen Burnus gehüllt, das gefärbte Haar geflochten
und mit Dutzenden von weißen Haarnadeln hochgesteckt.
    Sie stellte das Radio auf Flüsterton,
um selbst auf Sendung zu gehen, und fragte: »Monsieur Amir, Sie haben sicher
viel Geld?«
    »Warum, haben Sie irgendwelche
Projekte?« fragte ich vorsichtig zurück.
    »Nein, aber in Ihrem Alter — selbst in
meinem, obwohl ich viel jünger bin als Sie — ist nichts so schlimm wie Armut
und Krankheit.«
    Immer noch vorsichtig, erklärte ich:
»Ich habe in gesicherten materiellen Verhältnissen gelebt und hoffe, bis zu
meinem Tod so leben zu können.«
    »Ich kann mich nicht erinnern, daß Sie
je das Geld mit vollen Händen ausgegeben hätten.«
    Zögernd erwiderte ich: »Ich hoffe, daß
meine Ersparnisse mich überleben.«
    Sie winkte desinteressiert ab: »Der
Arzt hat mir diesmal Mut gemacht, und ich habe ihm versprochen, mir keine
Sorgen zu machen.«
    »Es tut nicht gut, sich mit Sorgen zu
belasten!«
    »Wir wollen fröhlich sein und uns
vergnügen, wenn die Silvesternacht kommt!«
    »Ja!« gab ich lachend zurück, »so, wie
es uns unsere Herzen erlauben.«
    Sie wiegte genießerisch den Kopf und
flüsterte vor sich hin: »O ihr Silvesternächte, wie schön ihr wart!«
    »Sie wurden ja favorisiert von
höchstrangigen Männern!« murmelte ich, in Erinnerungen versunken.
    »Aber nur ein einziges Mal habe ich
wahre Liebe erlebt. « Sie zeigte auf das Foto des Kapitäns und fuhr dann fort:
»Einer von den Studenten, die ich heute bediene, hat ihn umgebracht.« Stolz
betonte sie: »Es war eine Pension für vornehme Leute. Ich hatte einen Koch,
einen Küchenjungen, einen Kellner, eine Waschfrau und zwei Stubendiener. Heute
kommt nur noch einmal die Woche eine Waschfrau.«
    »Viele aus der alten Oberschicht
beneiden Sie darum, wie es Ihnen heute geht.«
    »Aber ist das Gerechtigkeit, Monsieur
Amir?«
    »Jedenfalls ist es normal, Madame.«
    Ich lachte begütigend, als ich sah, wie
ihr Gesicht sich verfinsterte.
     
    Der Allerbarmer lehrte dich
    Den Koran zum Vortrage.
    Den Menschen schuf er an dem
Schöpfungstage,
    Und lehrte ihn, was klar er sage.
    Bahn halten Sonn' und Mond bei Nacht
und Tage;
    Und Stern und Baum sind in
Anbetungslage.
    Er hob den Himmel und setzt' ein die
Waage.
    Ich las weiter in der Sure »Der Allerbarmer«, die ich
liebte, seit ich auf der Azhar gewesen war. Ich hatte es mir in einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher