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Miramar

Titel: Miramar
Autoren: Nagib Machfus
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großen
Sessel bequem gemacht und die Füße auf ein Kissen gelegt. Es regnete in
Strömen. Die Wasserfluten klatschten auf die Stufen der Eisentreppe im
Lichthof.
    Was auf der Erd' ist, muß vergehn,
    Und nur das Antlitz deines Herrn wird
bestehn,
    Das herrlich ist zu nennen.
    Plötzlich brachen von draußen Stimmen in die Stille.
Ich hob den Kopf vom Koran und lauschte. War das ein Gast oder ein
Neuankömmling? Marianas Stimme war von einer Herzlichkeit, die nur der
Begrüßung eines guten, alten Freundes gelten konnte. Da wurde auch gelacht. Der
harte Tonfall einer hohlen Stimme kristallisierte sich heraus. Wer konnte das
sein? Es war später Nachmittag, und es regnete heftig. Die Wolken am Himmel
tauchten das Zimmer in nächtliches Dunkel. Ich knipste die Lampe an, als durch
die Jalousien hindurch das zuckende Licht eines Blitzes drang und das permanente
Donnergrollen kurzzeitig besiegte.
    Ihr Heer der Genien und Menschen,
    Wenn ihr entrinnen könnt den Grenzen
    Des Himmels und der Erd', entrinnt nur!
    Ihr werdet ohne Vollmacht nicht
entrinnen!
    Er war ziemlich klein und
dick, hatte Pausbacken, ein Doppelkinn und trotz seiner dunklen Gesichtsfarbe
blaue Augen. Sein unverkennbar aristokratisches Gepräge ergab sich aus dem
Stolz seines Schweigens, wenn er einmal schwieg, und den ausgewogenen,
wohlbedachten Bewegungen seines Kopfes und seiner Hände, die seine Worte
begleiteten, wenn er sprach.
    Madame nannte mir am Abend seinen
Namen: Tolba Bey Marzuq, und erklärte mir: »Er war stellvertretender Minister
für religiöse Stiftungen und eine hochbedeutende Persönlichkeit.« Mehr brauchte
sie mir nicht zu sagen, denn ich hatte ihn durch meinen Beruf während der Zeit
der politischen und Parteienkämpfe von weitem kennengelernt. Er gehörte zu den
Anhängern des Hofes und war so von Haus aus ein Feind der Wafd-Partei. Ich
entsann mich auch, daß sein Besitz und Vermögen vor einem Jahr oder auch schon
vor längerer Zeit sequestriert worden waren und daß man ihm seine Einkünfte bis
auf einen festgesetzten Betrag genommen hatte. Madame zeigte sich so glücklich
und gefühlvoll, wie sie nur konnte. Immer wieder pries sie ihre alte
Freundschaft zu Tolba Bey. Ihre überströmende Begeisterung ging so weit, daß
sie ihn als eine alte Liebe bezeichnete.
    Als wir dann miteinander sprachen,
sagte mir der Mann: »Ich habe früher viel von Ihnen gelesen.« Ich lachte
vielsagend, und er lachte seinerseits: »Sie waren für mich ein Paradebeispiel
für die Macht einer Rhetorik, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, Lappalien zu
verteidigen.« Er brach in ein langes Gelächter aus, aber ich hatte keine Lust,
mich mit ihm zu streiten.
    Madame wandte sich schadenfroh an mich:
»Tolba Bey ist ein alter Schüler der Jesuiten. Wir werden von jetzt an gemeinsam
französische Schlager hören und Sie alleine leiden lassen.«
    »Er ist gekommen, um bei uns zu
wohnen«, sagte sie dann und streckte ihm beide Hände zum Willkommen entgegen.
Ich hieß ihn meinerseits willkommen, und sie fuhr voller Bedauern fort: »Er
besaß tausend Feddan Land.
    Er konnte mit Geld nur so um sich
werfen.«
    »Die Zeit, da man mit Geld um sich
warf, ist vorbei«, setzte der Mann widerwillig entgegen.
    »Wo ist jetzt eigentlich Ihre Tochter,
Tolba Bey?«
    »In Kuwait, zusammen mit ihrem Mann,
dem Bauunternehmer. «
    Ich wußte, daß sein Vermögen
sequestriert worden war, weil man ihn des illegalen Geldtransfers ins Ausland
beschuldigt hatte, aber er erklärte sein Unglück so: »Ich habe mein gesamtes
Vermögen wegen eines kleinen Scherzes verloren.«
    »Wurde eigentlich ein
Ermittlungsverfahren gegen Sie eingeleitet?« fragte ich ihn.
    »Es war ganz einfach so, daß sie mein
Geld brauchten«, erwiderte er verächtlich.
    Die Frau sah ihn prüfend an und meinte
dann: »Sie haben sich sehr verändert, Tolba Bey.«
    Sein kleiner Mund zwischen den
Pausbacken lächelte. »Ich hatte einen Schlaganfall, der mich fast das Leben
gekostet hätte.« Als wolle er sich selbst trösten, fuhr er fort: »Aber ich darf
wieder in mäßigen Mengen Whisky trinken.«
    Er tauchte das Croissant in Tee mit
Sahne und aß dann so vorsichtig, wie es jemand tut, der seinem neuen Gebiß noch
nicht traut. Nur wir beide saßen am Frühstückstisch. Die wenigen Tage, die
vergangen waren, hatten uns einander näher gebracht, hatten die Schranken der
Vorsicht zwischen uns beseitigt. Das Gefühl, ein und derselben Generation
anzugehören, hatte die alten Gegensätze besiegt, auch wenn wir
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