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Miramar

Titel: Miramar
Autoren: Nagib Machfus
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nach wie vor
unterschiedliche, einander entgegengesetzte Temperamente hatten. Aber es gab
Zeiten, da brachen die verdrängten Widersprüche hervor, gewannen an Bedeutung,
führten zu Spannungen.
    So fragte er mich einmal ohne jeden
Anlaß: »Wissen Sie eigentlich, was die Ursache all des Unglücks ist, das uns
betroffen hat?«
    »Welches Unglück meinen Sie?« gab ich
erstaunt zurück.
    »Sie alter Schlaumeier, Sie wissen sehr
gut, was ich meine.«
    »Mich hat kein Unglück irgendwelcher
Art betroffen!«
    Er hob die grauen Augenbrauen und erklärte:
»Sie haben euch als Volksbewegung und eure Beliebtheit beim Volk ebenso
konfisziert, wie sie unser Vermögen eingezogen haben.«
    »Vielleicht erinnern Sie sich daran,
daß ich aus der Wafd-Partei ausgetreten bin, ja, daß ich mich seit den
Ereignissen vom 4. Februar allen Parteien ferngehalten habe?«
    »Und wenn schon! Das war ein Schlag,
der den Stolz dieser ganzen Generation hinweggefegt hat.«
    Um jeden Streit zu vermeiden, wollte
ich eine Frage stellen: »Einmal abgesehen von meinem Standpunkt dazu, wüßte ich
gern Ihre Meinung zu ... «
    »Es gibt einen Grund, der weit
zurückliegt, für den Strick, den man uns um den Hals gelegt hat«, meinte er mit
ebensoviel Ruhe wie Verachtung, »einen Mann, an den sich kaum einer zu erinnern
scheint.«
    »Wen meinen Sie?«
    »Saad Zaghlul.«
    Ich mußte lachen, aber er sagte scharf:
»Ja doch, als er hartnäckig Haß zwischen den Menschen stiftete, den König
angriff, die Volksmassen umbuhlte, hat er eine böse Saat gelegt. Sie hat
gekeimt, ist gewachsen und hat sich ausgedehnt wie ein Krebsgeschwür, das uns
schließlich den Garaus macht.«
    Es waren nur wenige
Menschen im Palma. Tolba Marzuq schaute gern in das fast stehende Nilwasser im
Machmudijja-Kanal, während ich die Beine ausstreckte und es mir im Liegestuhl
bequem machte, als wollte ich im warmen, reinen Sonnenschein ein Schläfchen
machen. Wir waren in die Außenbezirke von Alexandria geflohen, dahin, wo es
viele Bäume und Blumen gab und an klaren Tagen Wärme und Frieden. Wir hatten in
einem segensreichen Winkel des Paradieses Zuflucht gesucht.
    Wie nervös mein Freund auch war, wie
sehr er übertrieb, er verdiente Mitleid. Jenseits der Sechzig hatte er ein
neues, bitteres Leben beginnen müssen. Er beneidete seine Tochter im Exil und
hatte seltsame Träume. Er konnte es nicht ertragen, einer Theorie zuzuhören,
die die Tragödien seiner Vergangenheit in irgendeiner Weise zu rechtfertigen
suchte, und glaubte fest, daß der Anschlag gegen sein Vermögen ein Anschlag
gegen die Existenz Gottes, gegen Seine Weisheit und ein gottgefälliges Leben
war.
    »Als ich hörte, daß Sie in der Pension
wohnen, hätte ich beinah davon Abstand genommen, auch einzuziehen.«
    Ich konnte das kaum glauben, so fragte
ich ihn, warum er denn überhaupt dort hatte einziehen wollen.
    »Ich hatte mir die Pension Miramar in
der Hoffnung ausgesucht, dort nur noch ihre Besitzerin vorzufinden, die
schließlich europäischer Abstammung ist.«
    Was denn seine schlechte Meinung über
mich am Ende ausgeräumt habe, fragte ich ihn.
    »Ich habe nachgedacht und kam
schließlich zu der Überzeugung, daß die Geschichte keinen Spitzel kennt, der
über achtzig war.«
    Ich lachte lange und wollte dann
wissen: »Und warum haben Sie Angst vor Spitzeln?«
    »Im Grunde habe ich gar keine, aber
manchmal mache ich mir Luft, indem ich offene Reden führe.« Nervös fuhr er
fort: »Im Rif gab es keinen Platz mehr für mich, und die Atmosphäre in Kairo
läßt mich meine Erniedrigung ständig spüren. Da fiel mir meine frühere Geliebte
ein. Ich sagte mir: Sie hat in einer Revolution ihren Gatten verloren und in
der nächsten ihr Vermögen.
    So sprechen wir beide dieselbe
Sprache.«
    Er lobte mich, weil ich trotz meines
hohen Alters noch so rüstig war, und verführte mich dazu, mit ihm Filme zu
besuchen und in die Cafes zu gehen, die im Winter geöffnet hatten.
    Einmal fragte er: »Warum wohl hat Gott
von der Politik der Stärke Abstand genommen?« Ich verstand nicht, worauf er
hinauswollte, so erklärte er: »Ich meine die Sintflut, Stürme und ähnliches.«
    »Ja, glauben Sie denn, daß die Sintflut
mehr Menschen vernichtet hat als die Bombe von Hiroshima?« erwiderte ich.
    Er fuchtelte zornig mit den Händen und
brauste auf: »Ja, bedienen Sie sich nur der Propagandalosungen der Kommunisten,
Sie Schlaumeier. Die größte Sünde an der Menschheit begingen die USA, als sie
sich weigerten, die Weltherrschaft
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