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Miramar

Titel: Miramar
Autoren: Nagib Machfus
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verstimmt, »ich habe mich zur Ruhe gesetzt. Dies wird
mein Lebensabend, Mariana!«
    Sie machte eine ermunternde
Handbewegung, so fuhr ich fort: »Und nun zieht es mich wieder nach Alexandria,
meiner Geburtsstadt. Da von meinen Verwandten hier niemand mehr lebt, habe ich
den einzigen Freund aufgesucht, der mir in meiner Welt noch geblieben ist.«
    »Es ist schön, wenn der Mensch einen
Freund findet, der seine Einsamkeit teilt!«
    »Erinnern Sie sich noch an die guten
alten Zeiten?«
    »Sie sind vergangen, wie alles, was
schön ist!« sagte sie in theatralischem Ton und murmelte dann vor sich hin:
»Aber wir müssen weiterleben.«
    Dann kam das Berechnen und Feilschen.
Sie betonte, daß die Pension ihre letzte Einnahmequelle sei. So freue sie sich
über jeden Gast zur Winterszeit, selbst über die sonst so lästigen Studenten.
Um sie ausfindig zu machen, nehme sie Makler und auch Angestellte einiger
Hotels zu Hilfe. Sie sagte das mit der stolzen Traurigkeit eines Menschen, dem
es früher einmal besserging.
    Sie gab mir das Zimmer Nummer 6 auf der
dem Meer abgewandten Seite.
    Wir einigten uns auf eine angemessene
Miete für das ganze Jahr außer den Sommermonaten und darauf, daß ich den Sommer
über bleiben könne, wenn ich dann dieselbe Miete zahlte wie die übrigen
Sommergäste. Wir einigten uns über alles, auch über das obligatorische
Frühstück. Madame bewies, daß sie durchaus in der Lage war, im geeigneten
Moment ihr Herz von Erinnerungen freizuhalten, um unbelastet rechnen und planen
zu können.
    Sie fragte nach meinen Koffern, und ich
sagte ihr, ich hätte sie bei der Gepäckaufbewahrung am Bahnhof gelassen.
Lachend meinte sie: »Sie waren sich also nicht sicher, daß es Mariana noch
gibt?« und fuhr dann herzlich fort: »Möge es ein Aufenthalt auf Dauer sein!«
    Ich schaute auf meine Hände, die mich
an die Mumien im Ägyptischen Museum erinnerten.
    Mein Zimmer war nicht schlechter
möbliert als die, die zum Meer gelegen waren. Es hatte die gleichen Möbel und
bequemen Sessel älteren Stils. So mußten die Bücher in ihrer Kiste bleiben bis
auf die wenigen, in denen ich gelegentlich blättern würde. Die hatten Platz auf
dem Tisch oder dem Toilettentisch. Störend war nur, daß ständiges Halbdunkel
herrschte, denn das Zimmer ging auf einen großen Lichthof, an dessen einer Wand
die Dienstbotentreppe nach oben führte und in dem die Katzen miauten und
Arbeiter sich laut unterhielten. Ich sah mir die übrigen Zimmer an, das rosa-und das veilchenfarbene und das himmelblaue. Alle standen sie leer. In jedem
von ihnen hatte ich früher einen Sommer oder auch länger gewohnt. Und obwohl
die alten Spiegel, die kostbaren Teppiche, die silbernen Leuchter und die
Kerzenhalter aus Kristall verschwunden waren, ging von den tapezierten Wänden
und den hohen Decken mit ihren Stuckengeln ein Hauch verblichener Pracht aus.
Sie seufzte, und zum ersten Mal sah ich, daß sie ein Gebiß trug: »Es war einmal
eine vornehme Pension!«
    »Nur Gott ist von ewiger Dauer!«
versuchte ich zu trösten.
    Verächtlich schürzte sie die Lippen:
»Im Winter sind die meisten Gäste Studenten, und im Sommer nehme ich alles, was
hier kreucht und fleucht.«
    »Amir Bey, legen Sie doch bitte ein gutes Wort für
mich bei seiner Exzellenz, dem Pascha, ein!«
    »Exzellenz!« verwandte ich mich beim
Pascha, »der Mann hat zwar nicht gerade hervorragende Zeugnisse, aber er hat
seinen Sohn im Krieg verloren, und man sollte ihn deswegen für den Bezirk
kandidieren lassen.« Er stimmte meinem Vorschlag zu, Gott gebe ihm dafür den
schönsten Platz in seinem Paradies.
    Er mochte mich und las meine Artikel
mit aufrichtigem Interesse. Einmal sagte er zu mir: »Sie sind wirklich das
Gewissen der Nation!« — er sprach es aber, Gott hab ihn selig, mit seinem
Nuscheln so undeutlich aus, daß es sich anhörte wie: »Das Gebiß der Nation.«
Einige ehemalige Kollegen von der Nationalen Partei hörten das, und immer, wenn
sie mich sahen, rief mir einer zu: »Ein herzliches Willkommen dem Gebiß der
Nation!«
    Dennoch, es waren die Tage des Ruhms,
des kämpferischen Geistes, die Tage des Heldentums.
    Amir Wagdi war damals eine
Persönlichkeit. Er war so einflußreich, daß Freunde zu ihm kamen, wenn es etwas
zu bitten galt, Feinde ihn mieden, wo es etwas zu fürchten gab.
    Im Zimmer hänge ich
meinen Erinnerungen nach, lese oder überlasse mich einem Schläfchen. Im Entrée
ist Gelegenheit, Radio zu hören und mit Mariana zu plaudern. Wenn ich eine
andere
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