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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition)
Autoren: Matt Ruff
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globale Erwärmung«, witzelte er.
    »Na ja, das ist noch eine Beta-Version«, sagte Wajid.
    Auffrischung. Der Sturm griff, über Afghanistan und Pakistan, auf Indien über, wallte auf über Russland und Osteuropa und querte das Rote Meer und den Golf von Aden, um Somalia, Dschibuti, Eritrea, Äthiopien, den Sudan, Ägypten und den Osten von Libyen bis nach Bengasi zu verschlingen.
    »Als Nächste sind wir dran«, sagte Gaddafi.
    »M-hm«, sagte Wajid. Dann flackerten die Monitore, als eine heftige Windbö das Gebäude erfasste und Millionen winziger Körnchen auf die Fenster einprasselten.
    Auffrischung …
    In Texas war es früher Morgen. In einem Nullachtfünfzehn-Haus an der Peripherie von Austin stand ein Mann in seiner Küche und redete mit seinem Hund. Auch wenn bei seinen gegenwärtigen Lebensumständen kein Mensch darauf gekommen wäre, stammte der Mann aus privilegierten Verhältnissen, war Sohn eines der mächtigsten und geachtetsten Ältesten in der Evangelikalen Republik; in seiner Jugend war man wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass auch er einst Großes leisten würde. Doch er hatte die Vorteile seiner Geburt verschleudert, alle seine zweiten Chancen vertan und es folglich zu nichts gebracht. Jetzt, wo seine eigenen Kinder erwachsen waren, stellte der kleine schwarze Terrier zu seinen Füßen den Gipfel seiner Verantwortlichkeiten dar.
    »Ich weiß, du willst Dosenfutter«, sagte er zu ihm. »Aber du entscheidest nicht, was du frisst. Ich bin hier der Entscheidungsträger.« Er ließ ein tumbes Lächeln aufblitzen, begeistert von seinem eigenen Wortwitz, den der Terrier indes nicht würdigen konnte oder wollte. Wohl aber schien der Hund zu verstehen, dass er seinen Wunsch nicht erfüllt bekommen würde, und senkte den Kopf widerwillig zumNapf Trockenfutter. »Braver Hund«, sagte der Mann und ging sich sein eigenes Frühstück richten.
    Der Mann hatte schlecht geschlafen, heimgesucht wie gewohnt von Angstträumen, in denen er endlos nach etwas suchte, das er zu finden versprochen hatte – obwohl er sich nie so richtig erinnern konnte, ob dieses Etwas ein Mensch oder eine Sache war. Das Gefühl der Frustration hing ihm selbst jetzt noch, im Wachzustand, nach. Während er vor dem offenen Kühlschrank stand und blicklos hineinsah, fragte er sich: Wo sind sie? Und dann: Wo ist was?
    Er starrte noch immer in den Kühlschrank, als er ein Prasseln hörte, das er als Regen gegen die Hauswand deutete. Der Hund, der mit dem Gesicht zur Terrassentür stand und sehen konnte, was draußen tatsächlich los war, japste einmal entsetzt auf und suchte sein Heil in der Flucht und der Speisekammer.
    »Du kannst winseln, bis du schwarz wirst«, sagte der Mann. »Das Dosenfutter kriegst du trotzdem nicht.« Als der Sturm heftiger wurde, schloss er die Kühlschranktür und ging in den Flur und rief nach oben zu seiner Frau: »Laur? Pennst du noch? Geh besser die Fenster im Gästezimmer zumachen!«
    Auffrischung …
    Neunzig Meilen weiter, in Crawford, war der Mann, den David Koresh den Wachteljäger nannte, im Vernehmungstrakt der CIA gerade dabei, einem renitenten Quäker ein Geständnis abzupressen. Das unterirdische Folterzimmer war fensterlos und schallgedämmt, aber trotzdem spürte er das Eintreffen des Sturms als ein plötzliches Flattern in seinem Herzen.
    »Sir?«, fragte ein Zenturio, der einen Eimer Wasser über den Kopf des Gefangenen hielt. »Soll ich noch mal?«
    Der Wachteljäger fing an, eine Geste wie »ja, ja« zu machen, und etwas rieselte ihm auf den Handrücken. Er sah nach oben. In der Decke hatte sich ein Loch aufgetan, undSand strömte durch es herunter wie die Körnchen in einer Sanduhr. Er spürte, wie sein Herz noch einmal ausschlug.
    »Sir?«, sagte der Zenturio. »Sir?«
    Auffrischung …
    In Virginia saß David Koresh an seinem Schreibtisch vor seiner Bibel, die an der Offenbarung des Johannes aufgeschlagen war. Er meinte zu verstehen, was gerade geschah, und hätte es eigentlich willkommen heißen müssen, aber jetzt, wo er bekam, wofür er gebetet hatte, stellte er Zweifel in sich fest, da das Rascheln des Sandes gegen das Fenster hinter ihm mehr und mehr wie das Knistern eines Feuers klang.
    Jenseits des Potomac stand Oberst Yunus in der Dinosaurier-Halle des Smithsonian und wunderte sich über den Sand, der durch die größer werdenden Risse im Oberlicht rieselte. Er verspürte keine Angst, selbst als das Dach nachzugeben begann; in der Staubwolke, die brodelnd auf ihn zukam, sah
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