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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition)
Autoren: Matt Ruff
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philosophisch: Wenn das hier dieselbe Welt ist, in der er gestern früh aufgewacht ist, dann hat er nichts verloren, was er da nicht schon verloren hatte. Wenn es eine neue Welt ist, dann kann sie ebensowohl schöne wie böse Überraschungen zu bieten haben. Vermutlich sollte er auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sie in der Hölle sind, aber die Tatsache, dass er noch, wie schwach auch immer, lächeln kann, lässt das unwahrscheinlich erscheinen. Und in jedem Fall wird Heulen nichts ändern. »Ich schätze, wir sollten uns auf den Weg machen.«
    »Schön«, sagt Samir. »Wo lang?«
    Drei in der Wüste verirrte Muslime könnten auf schlechtere Ideen kommen, als der Qibla zu folgen. Natürlich hat Mustafa keine Ahnung, in welcher Richtung Mekka liegt, aber er erinnert sich, in welcher Richtung er vorhin kniete, also schlagen sie diesen Weg ein. Anfangs versuchen sie, in einer geraden Linie zu wandern, aber nachdem sie ein paar Dünenhänge in der Mittagssonne hinauf- und hinuntergestapft sind, beschließen sie, stattdessen im Zickzack zu gehen, dem Verlauf der Dünentäler zu folgen.
    Sie sind erst zwei, drei Kilometer gelaufen, als sie auf den Jeep stoßen. Er steckt mit der Nase im Sand, der die Haube und den größten Teil der Frontscheibe bedeckt, während Heck und rechtes Hinterrad schief in die Höhe ragen. Wie der Stiefel zuvor trägt der Geländewagen keinerlei Kennzeichen, sieht aber nach Militär aus. Die grüne Lackierung ist vom Sand geschliffen.
    Unter einer grünen Plane finden sie auf der Pritsche mehrere volle Plastik-Wasserkanister. Mustafa öffnet einen davon und trinkt. Das Wasser ist sehr warm, schmeckt aber einwandfrei. Er lässt den Kanister herumgehen.
    Nachdem sie sich alle satt getrunken haben, untersuchen sie die Kabine des Jeeps. Amal, die Kleinste von ihnen, kriecht durch das offene Beifahrerfenster hinein. Sie findet die Zündung und betätigt sie, erntet aber nicht einmal das Klicken einer Magnetspule. Mehr Glück hat sie mit dem Handschuhfach: Drinnen liegt eine kleine Pistole, Kaliber .25 mit einem Magazin für neun Patronen. Das Magazin ist voll, und der Lauf ist sauber; der Schlitten lässt sich leicht bewegen. Diese Entdeckung beunruhigt Mustafa etwas, aber Amal fasst sie als ein gutes Omen auf. »Es schadet nie, gerüstet zu sein«, sagt sie und steckt die Waffe in ihre Abaya.
    Samir sieht sich die Pritsche noch einmal genauer an und entdeckt einen Lederbeutel mit Tabak und Papierchen. »Sind auch Streichhölzer da?«, erkundigt sich Amal, und Samir holt aus seiner Gesäßtasche ein Feuerzeug heraus.
    Mustafa würde sehr gern eine rauchen, aber zuerst hat er noch etwas anderes zu erledigen. Er greift sich einen Wasserkanister und sucht sich ein ruhiges Plätzchen gleich hinter der nächsten Düne. Er wäscht sich Gesicht, Hände und Füße. Er weiß zwar immer noch nicht, wo die Qibla ist, aber es gibt eine Lösung für das Problem: Er spricht das vorgeschriebene Gebet nicht ein-, sondern viermal und dreht sich dazu jedes Mal um neunzig Grad herum.
    Er vollendet gerade den vierten Durchgang, als eine leichte Brise über den Dünenkamm kommt und Amals ebenfalls betende Stimme heranträgt. Darauf achtend, sie nicht zu stören, kehrt Mustafa zum Jeep zurück.
    Samir hat von der Plane einen langen Streifen abgerissen und sich daraus einen Turban gewickelt. Er sieht komisch aus, aber er wird seine Kopfhaut schützen. Mustafa dreht eine Zigarette, und sie reichen sie sich hin und her, bis Amal zurückkommt.
    Wahrscheinlich sollten sie sich mit dem Rest der Plane einen Sonnenschutz basteln und während des heißesten Teils des Tages ruhen, aber jetzt können sie es alle nicht erwarten, irgendwo anzukommen, herauszufinden, wo dieses Irgendwo ist, und so nehmen sie sich ohne jede Diskussion jeder einen Wasserkanister und gehen wieder los.
    Sie marschieren mehrere Stunden lang, immer im Zickzack um die Dünen herum, und versuchen, durch Beobachtung des Sonnenstandes einen mehr oder weniger gleichmäßigen Kurs zu halten. Am späteren Nachmittag finden sie ein zweites Militärfahrzeug, einen offenen Truppentransporter mit Plane, der auf der Seite liegt. Samir kriecht hinten hinein, sucht nach weiteren interessanten Dingen. Diesmal gibt es weder Wasser noch Tabak, doch als er im Sand gräbt, der hineingeweht ist, findet er eine große Konservendose mit irgendetwas Schwerem darin.
    Mustafa schätzt die Länge des Schattens ab, den der Lastwagen wirft, und zieht sich wieder zum Gebet
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