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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition)
Autoren: Matt Ruff
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zertrümmerte Tür bot, ließ Saddam noch einmal ächzen.
    Er schüttelte es ab. Der Dschinn, dachte er. Der Dschinn konnte das wieder richten. Die Kreatur behauptete, ein Muslim zu sein: Schön, er würde sich ihrer Gnade anheimgeben, würde alles sagen, was erforderlich war, damit sie – es – ihn beschützte. Später dann, wenn er erst mal in Sicherheit war, würde er einen Weg finden, diesem Albtraum ein Ende zu bereiten.
    Aber zunächst musste er zu ihm zurück. Er ging weiter den Korridor entlang, nicht mehr nur humpelnd, sondern schlingernd, und spitzte die Ohren nach jeglichem Geräusch. Jetzt waren al-Qaida-Kämpfer eindeutig im Haus – er hörte Laufgeräusche, Schreie und gelegentliche Feuerstöße, wenn sie auf Überbleibsel der Republikanischen Garde stießen –, aber es klang so, als wären sie noch im Erdgeschoss. Lange würden sie allerdings nicht brauchen, um den Weg nach oben zu finden, und er wusste, dass sie nicht aufhören würden zu suchen, bis sie ihn gefunden hätten.
    Er erreichte die Galerie, die Nebukadnezars Saal überblickte. Er hörte Geräusche von unten und versuchte, sich unbemerkt vorbeizuschleichen, aber dann sagte eine Stimme mit einem Golf-Akzent: »Ich glaube, das ist der ältere Sohn.« Saddam trat an die Balustrade und schaute hinunter. Zwei Kommandokämpfer standen neben einer auf dem Fußboden liegenden Gestalt. Einer von ihnen leuchtete der Leiche mit einer Taschenlampe ins Gesicht.
    »Udai!«, schrie Saddam.
    Die Kommandokämpfer sahen nach oben, und er erschoss sie beide. Die blutbespritzte Taschenlampe rollte neben Udais Kopf aus und beschien weiter seine Züge wie eine gespenstische Punktleuchte.
    »Udai«, sagte Saddam. »Warte da. Warte da. Ich bring das wieder in Ordnung …«
    Er wandte sich in Richtung des Gebetsraums, und ein Gewehrkolben schwang aus dem Schatten hervor und knallte ihm voll ins Gesicht. Er wirbelte herum, fiel gegen die Balustrade und ließ sein Gewehr über die Brüstung fallen. Ein weiterer Hieb traf ihn im Kreuz und zerschmetterte Wirbelknochen. Saddam brach in die Knie, besinnungslos vor Schmerz.
    Eine grobe Hand packte ihn am Schädel und eine zweite am Kragen. Sein Angreifer fragte etwas. Verachtung brach durch seine Qual hervor, als Saddam die Stimme erkannte. » Du «, zischte er. »Fahr du zur Hölle! Du bekommst es nicht – es ist meines! Ich bin ein König! Ein König, verstehst du? Du bist weniger als das Arschloch eines Hundes!«
    Die Hand an seinem Kragen packte noch fester zu. Während er hochgehoben wurde, versuchte er, sich zu wehren, aber der Schlag gegen seine Wirbelsäule hatte ihm alle Kraft geraubt, und er konnte nur planlos um sich hauen und zetern. Er kippte vornüber über die Brüstung, wobei die zugeschnürte Kehle und der Anblick des Schachts unter ihm ein grauenvolles Gefühl von Déjà-vu auslöste, und er fing an zu schreien, brüllend Gottes Größe zu beteuern – ein letztes verzweifeltes Flehen um Errettung, das ohne Antwort blieb.
    Dann stellte sich die Welt auf den Kopf, und er stürzte hinab. Er landete mit einem dumpfen Schlag und einem Knacks, und einen Moment lang herrschte im ganzen Haus Stille. Osama bin Laden lehnte sich gegen die Balustrade und sah hinunter, und das orangefarbene Licht, das sich in seinen Augen brach, ließ ihn wie einen Dämon erscheinen.
    Eine Stimme hallte durch den Korridor, der in die Galerie mündete: »O Gott, lassen Sie mich hier raus!« Bin Laden ging in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, und erreichte den Korridor gerade noch rechtzeitig, um den enger werdenden Spalt von Fackellicht zu sehen, als Samir die Tür des Gebetsraums ins Schloss warf. Bin Laden blieb stehen und lauschte – dem Türriegel, der zugeschoben wurde, Tariq Aziz’ sich entfernenden Schritten und dem leisen Flüstern seiner eigenen Intuition.
    Er schulterte sein Gewehr, griff in sein Gewand und zog eine Leinentasche daraus hervor. Während er den Korridor entlangging, aktivierte er den Zünder.
    »Du solltest da weggehen«, sagte der Dschinn.
    »Warum?«, fragte Samir. Aber er entfernte sich von der Tür und stellte sich zu den anderen am Zauberkreis.
    Captain Lawrence hämmerte auf das Vorhängeschloss ein, das sich störrisch weigerte zu brechen. Mustafa war um den Stuhl herumgegangen, um die Fensterläden zu inspizieren. »Ich frage mich, ob wir es schaffen würden, da runterzuklettern.«
    »Mach dir darum keine Gedanken«, sagte der Dschinn.
    Eine Explosion sprengte die Tür auf.
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