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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition)
Autoren: Matt Ruff
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Trümmer von zersplittertem Holz und Metall kamen in den Saal geflogen und zerstoben in einem Luftwirbel, der auch die meisten Fackeln ausblies. Als Mustafa wieder zu sich kam, saß er in sich zusammengesackt an der Wand neben dem Fenster. Abgesehen vom Ohrensausen hatte er keinerlei Beschwerden und schien auch nicht verletzt zu sein, aber er konnte sich nicht bewegen.
    Osama bin Laden trat, sein AK-47 vor die Brust gehalten, in den Raum. Er entdeckte Amal, die bäuchlings im Schatten lag, aber der Dschinn sagte: »Lass sie, Bruder. Ich bin derjenige, den du suchst.«
    Bin Laden trat vor und blieb an derselben Stelle stehen, die nicht lange zuvor Saddam Hussein eingenommen hatte. Er sprach keinen Wunsch aus, oder sonst irgendetwas, starrte nur mit einer Mischung aus Neugier und Gehässigkeit auf den Dschinn.
    Der Dschinn erwiderte den Blick gelassen. »Es gibt unter uns welche, die gerecht sind«, sagte er. »Und welche, die das Gegenteil … Friede sei mit dir, Bruder.«
    Bin Laden drückte ab. Der Dschinn blutete wie ein Mensch, und er litt auch wie einer – als die ersten Kugeln in seinen Körper eindrangen, schnappte er mit aufgerissenem Mund nach Luft, und seine Arme und Beine zuckten hilflos gegen die Schellen. Bin Laden feuerte weiter, bis das Magazin des Gewehrs leer war. Da bewegten sich die Glieder des Dschinns auch schon nicht mehr, und sein Kopf hing vornüber.
    Mustafa merkte, dass er sich wieder bewegen konnte. Er versuchte aufzustehen, aber ein Schwindelgefühl erfasste ihn, und er fiel stöhnend wieder zurück. Bin Laden drehte sich nach dem Geräusch um, und einen Moment lang fixierten sie sich mit Blicken, während der Senator abwägte, ob Mustafa den Aufwand des Nachladens lohnte. »So Gott will«, sagte Mustafa, und Bin Laden drehte sich, den Kopf herrisch in den Nacken geworfen, um und ging aus dem Zimmer.
    Mustafa glitt zur Seite, bis er, die Wange auf einer dünnen Schicht Sand, auf dem Fußboden lag. Aus dieser Position sah er die messingne Flasche, weggeworfen und vergessen, neben dem Leichnam von Saddams Zauberer liegen. Er schaute dem Spiel des flackernden Lichts auf ihrer gewölbten Oberfläche zu, spürte, wie die Welt sich unter ihm drehte. Dann riss der Sturmwind, sich zu Orkanstärke steigernd, die Läden vom Fenster und sprengte in den Saal, und die letzte Fackel verlosch.
    Im selben Augenblick, dreitausend Kilometer weiter westlich, in Tripolis, führte Wajid Jamil gerade seinem Onkel Muammar eine Neuversion eines Rechnerprogramms vor.Der virtuelle Globus al-Ard – »die Erde« – war eines der Lieblingsprogramme des Gouverneurs von Libyen, und seit dessen Einführung hatte Gaddafi zahlreiche Verbesserungsvorschläge gemacht. Die Nummer eins auf seiner Wunschliste – die Echtzeit-Auffrischung von al-Ards Satellitenbildern – blieb bei einer nichtmilitärischen Anwendung technisch undurchführbar, aber Wajid hatte sein Möglichstes getan, um das Programm in mancherlei anderer Hinsicht nach Echtzeitdarstellung aussehen zu lassen.
    Das neue Leistungsmerkmal, das momentan demonstriert wurde, holte Daten von Wetterstationen auf der ganzen Welt und projizierte sie auf den virtuellen Globus zu einer grafischen Darstellung, die alle fünfzehn Sekunden aktualisiert wurde. Wajid hatte eine Ausschnittvergrößerung der nordöstlichen VAS herangeholt, sodass sein Onkel dem Sandsturm dabei zusehen konnte, wie er sich über den Irak in Richtung Kuwait und Arabien ausbreitete. Gaddafi war fasziniert, fast hypnotisiert – als Wajid versuchte, zur nächsten Phase der Demo, der Darstellung des Verkehrsaufkommens auf den Schnellstraßen, überzugehen, fragte der Gouverneur, ob sie nicht bitte noch etwas länger beim Wetter bleiben könnten.
    »Natürlich«, sagte Wajid, beflissen wie immer.
    Aber wie das Pech es wollte, trat schon bei der allerersten Auffrischung eine Bildstörung auf: Die gelbe Schraffur, die den Sandsturm darstellte, nahm schlagartig an Ausdehnung zu, expandierte um Hunderte von Kilometern in allen Richtungen. Al-Gaddafi zuckte mit dem Kopf zurück und blinzelte, als hätte ihm der Bildschirm mit zwei Fingern in die Augen gestochen. Wajid drehte sich nach seinem Cheftechniker um, der sich vor Verlegenheit wand.
    Bei der nächsten Auffrischung dehnte sich der Sandsturm noch einmal aus. Er bedeckte jetzt die ganze Arabische Halbinsel, dazu Persien, die Türkei und den Kaukasus bis hinauf nach Tschetschenien. Gaddafi, der seineFassung wiedergewonnen hatte, schmunzelte. »Die
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