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Millie an der Nordsee

Millie an der Nordsee

Titel: Millie an der Nordsee
Autoren: Dagmar Chidolue
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Millies Frage gar nicht so abwegig ist.
    »Früher waren die Toiletten von der Eisenbahn tatsächlich nach unten hin offen«, sagt sie. »Da wird schon mal das eine oder andere runtergeplumpst sein.«
    »Auf die Köpfe?«
    Mama zieht die Schultern hoch und grinst. Millie kichert. Papa schüttelt noch immer den Kopf und Trudel hat gar nichts kapiert. Sie ist zu klein, um witzige Sachen zu verstehen. Trudel nimmt alles nur ernst.
    Kurz nach der Brücke über den Kanal sieht Millie ein Schild mit einem Seehund drauf.
    »Anhalten, Papa! Anhalten!«
    »Bitte?«, fragt Papa verdutzt.
    Ach ja. So heißt das Zauberwort .
    »Bitte, Papa, halt an. Guck doch mal, da links geht’s zur Nordsee. Zu den Seehunden, Papa. Ich will mal einen auf den Arm nehmen.«
    »Das geht nicht«, sagt Mama. »Selbst wenn man ein Seehundbaby einsam am Strand findet, darf man es nicht anfassen. Vielleicht kommt seine Mama zurück. Wenn das Baby dann nach Mensch riecht, will sie es nicht mehr wiederhaben.«
    »Und wenn die Mama gar nicht mehr zurückkommt?«
    Das Baby kann sich ja auch verirrt haben und seine Mama sucht und sucht und kann es nicht finden. Was dann?
    »Das Seehundbaby ruft nach seiner Mama. Das hört sich an, als würde es weinen.«
    »Ein Seehundbaby kann heulen?«
    »Ja«, sagt Mama. »Deswegen heißen alleingelassene Seehundbabys auch Heuler. Sie heulen so lange, bis jemand sie mitnimmt.«
    »Trudel heult nicht«, sagt die kleine Schwester.
    Doch, manchmal ist Trudel auch ein Heuler.
    Mama meint, dass das Schild darauf hindeutet, dass es in der Nähe eine Seehundstation gibt.
    »Nur die Mitarbeiter einer solchen Station dürfen die Heuler mitnehmen. Dort drüben in Friedrichskoog zum Beispiel. Die wissen da, wie man Robben großbekommt.«
    »Mit Babybrei?«
    »Ich glaube mit Fischbrei.« Jetzt hat sich Papa eingemischt. »Seehunde fressen doch nur Fisch.«
    »Aber es sind auch Säugetiere«, wirft Mama ein. »Sie trinken an der Brust von der Seehundmama.«
    »Trudel war auch ein Säugetier«, sagt Millie und nickt. Sie weiß noch genau, wie die kleine Schwester immer an Mamas Brust genuckelt hat.
    »Genau wie du, Millie«, sagt Papa.
    Wirklich? Daran kann sich Millie gar nicht erinnern.
    Mama schlägt vor, die Seehundstation nicht zu besichtigen, sondern die Reise fortzusetzen und lieber später mit einem Boot direkt zu den Seehundsbänken rauszufahren.
    Heute soll Millie nämlich noch eine Sturmflut erleben.
    Hat sie richtig gehört? Eine Sturmflut?
    »Mit Windstärke zwölf?«
    »Aber bestimmt«, verspricht Mama.
    »Trudel auch zwölf.«
    Na, die weiß ja gar nicht, was sie sagt. Jedenfalls biegt Papa jetzt doch nach links ab.
    Hier, auf dem platten Land , sehen die Wiesen aber komisch aus. Sie bestehen aus lauter Ruppeln. Hat der liebe Gott einen Schluckauf gehabt, als er die Wiesen in Nordfiesland geschaffen hat?
    »Nein, Millie«, sagt Mama. »Das ist neu gewonnenes Land, das die Menschen, die hier leben, dem Meer abgerungen haben.«
    Mama hat gut in der Schule aufgepasst. Sie weiß, dass die Nordsee kommt und geht, und wenn das Wasser abhaut, bleiben Schlick und Matsch zurück. Es gibt Pflanzen, die auf dem Schlick wachsen, weil sie Salzwasser vertragen. Nun muss man zack, zack eine niedrige Hecke aus Ästen drum herumbauen und schon ist so eine Ruppelwiese entstanden. Eine Salzwiese. Dann kann man noch einen Deich vor dem neu gewonnenen Land errichten und ein paar Schafe auf der Wiese laufen lassen. Aber mögen die Schafe, die auf den Ruppelwiesen grasen, wirklich salziges Gras? Das wird doch nach Salzstangen schmecken.
    »Das neue Land heißt Marsch und die eingedeichte Gegend Koog.« Papa hat auch gut in der Schule aufgepasst.
    »Und was ist ein Deich?«
    »Ein Schutzdamm gegen die Sturmflut.«
    So hat sich Millie das auch vorgestellt. Noch besser wäre es allerdings, das alles mal mit eigenen Augen zu sehen .
    »Wir fahren nach Büsum«, sagt Mama. »In die Sturmflutenwelt. Dort kann man es sogar erleben.«
    Prima. Das hört sich aufregend an.
    Mama dirigiert Papa durch die platte, weite Landschaft.
    Platt ist ein schönes Wort. Millie kann direkt hören, wie das Wort platt getreten ist.
    »Sprechen die hier nicht auch so was wie Platt?«, fragt Papa.
    »Du meinst Plattdeutsch.«
    Mama! Soll das etwa eine Sprache sein?
    »Ja«, behauptet sie. »So haben hier früher die meisten Leute gesprochen. Vielleicht begegnet uns sogar jemand, der noch Plattdüütsch sprechen kann.«
    Rechtsherum, linksherum, rechtsherum. Und nicht
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