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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition)
Autoren: Paolo Roversi
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Wagen nach, der in Richtung des Viale Misurata verschwindet. Aus dem Radio erklingt ein Lied von Ray Charles, Georgia on My Mind .
    Der Morgen graut, und während er nach Hause geht, kann er sich nicht vorstellen, dass dies das letzte Mal gewesen sein soll, dass er den Amerikaner gesehen hat. Zumindest als freier Mann. Viele Jahre später würden sie sich wiedertreffen, in San Vittore. ›Die Zwei‹, wie das Gefängnis von allen genannt wird.
    3
    Die Krimenbar ist fast leer an diesem Morgen. Was nicht weiter erstaunt, da die Stammkundschaft ja nachts ›arbeitet‹ und vor vier Uhr nachmittags normalerweise niemand aufkreuzt.
    Der Amerikaner hingegen ist seit sieben hier. Er will sich von seiner Mutter verabschieden, weil er eine Weile verreisen muss.
    »An die Riviera, geschäftlich«, erklärt er der Frau, die ihn kopfschüttelnd ansieht.
    Seit der Baron im Knast sitzt, ist er auf eigene Faust unterwegs und schnell von den Hühnern zum Champagner gewechselt. Er lebt von Diebstählen und Raubüberfällen. Er arbeitet allein, ein einsamer Wolf, bisher läuft alles wie geschmiert. Jetzt will er sich die Julisonne in der Romagna auf das Fell brennen lassen.
    Um zwei ist er schon in Cesenatico. Sonnenbrille, schulterlange Locken, Seidenhemd und Leinenhose. Ringe an jeder Hand und die Ambassador zwischen den Lippen, die er mit einem silbernen Ronson anzündet.
    Keiner beachtet ihn, auch nicht, als er vor einem Hotel an der Strandpromenade zwei Koffer ergreift, die eine Touristin dort abgestellt hat, und sie in seinem Kofferraum verstaut. Ruhig fährt er los und erreicht völlig unbehelligt sein Zimmer in einem Hotel wenige Kilometer weiter südlich.
    Als er die Koffer öffnet, ändert sich sein Leben. Nicht etwa, weil sie Schätze oder Kostbarkeiten enthielten. Nichts Derartiges. Es ändert sich, weil der Amerikaner den Kopf verliert, was ihm nie zuvor passiert ist. In den Koffern befinden sich Luxusgüter: Korsagen, Slips, Mieder, Seidenstrümpfe, ein paar Fotos von dem Mädchen, das er bestohlen hat. Er ist wie elektrisiert. So einer ist der Lausejunge aus der Via Novara noch nie begegnet, und sie soll ihm auf keinen Fall durch die Lappen gehen.
    Eine halbe Stunde später steht er erneut vor dem Hotel des Mädchens. Wie wild gestikuliert sie mit dem Portier, ganz verzweifelt, denn die Koffer enthielten all ihre Habseligkeiten. Nun hat sie nichts mehr außer den Kleidern am Leib.
    Der Amerikaner, der sich vom Baron die Umgangsformen des feinen Herrn und Charmeurs abgeschaut hat, nähert sich der schönen Touristin. Sie heißt Chantal, vielmehr ist dies ihr Künstlername; ihr echter Name hat für ihn wenig Bedeutung, so wenig, dass er nicht einmal danach fragt. Sie ist fünfundzwanzig Jahre alt und Italienerin, lebt aber in Genf, wo sie als Tänzerin in einem Nachtclub arbeitet.
    Er tröstet sie und lädt sie an die Bar ein. Bei einer Flasche Cristal sagt er ihr, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, er habe Kontakte und die Koffer ließen sich bestimmt wieder auftreiben. Sie solle ihm nur vertrauen.
    Noch am selben Abend sind die Koffer wie von Zauberhand wieder da, und Chantal fackelt nicht lange, sich in der Art bei ihm zu bedanken, auf die sie sich als Nachtclubtänzerin am besten versteht.
    Doch es bleibt nicht bei einer Nacht. Der Amerikaner verliebt sich rasend in das Mädchen und nimmt sie mit sich zurück nach Mailand. Er will sie heiraten. Was er nach einem Monat in Saus und Braus wahr macht. In Genf, chez elle .
    Zwei Tage später betritt Lampis mit der Gattin am Arm die Krimenbar. Chantals Anblick ist betörend. Nonchalant trägt sie eine Fuchsstola über einem enganliegenden, langen schwarzen Kleid mit Seitenschlitz, der viel Bein zeigt. Sie balanciert auf schwindelerregenden Absätzen, und der Femme-fatale-Effekt wird durch ein verschwenderisches Make-up und weiße, lange Handschuhe noch verstärkt.
    Die Mutter rümpft die Nase.
    »Du kannst doch kein Flittchen heiraten«, sagt sie zu ihrem Sohn.
    »Aber ich habe sie schon geheiratet!«
    Und er zeigt ihr die Urkunde.
    »Die Schweiz existiert nicht in meinem Haus!«, erwidert die Frau und zerreißt das Papier vor seinen Augen.
    Die zufällig anwesenden Gäste tun unbeteiligt, leeren ihre Gläser und scheren sich nicht darum.
    Der Amerikaner geht hinaus, Hand in Hand mit seiner Frau. Sie nehmen sich ein Zimmer im Hotel in der Via Washington. Sie spielt die feine Dame und glaubt, er verfüge über die nötigen danè . Und ein wenig hat er ja auf der hohen
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