Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition)
Autoren: Paolo Roversi
Vom Netzwerk:
unwillkürlich hinzugefügt.
    Weitaus weniger reserviert wirkt sein Bruder an diesem Tag, als er eine Stunde später zurückkehrt.
    »Eine Brünette in Korsage, schwarze Strümpfe, die Augenbrauen zwei elegante Striche und einen Arsch … hmmmm«, erzählt er, kaum dass sie allein im Zimmer sind, »zum Wahnsinnigwerden, ich schwöre es dir!«
    Antonio stellt das Radio lauter, damit die Mutter sie nicht hört: Fred Buscagliones raue Stimme singt Buonasera Signorina und überdeckt die sündigen Einzelheiten.
    Das Ganze hat wohl kaum ein paar Minuten gedauert, doch Giovannis Erzählung füllt fast eine Stunde. Er beschreibt die eleganten, offenen Hausmäntel der anderen Damen, die farbenfrohen Seidenstoffe, die Wendeltreppe, die nach oben führte, der nach edlen Essenzen duftende Saal, wo sich die Männer drängten und warteten, bis die Reihe an ihnen war. Die beleibte Puffmutter an der Kasse, die ihm und dem Vater beim Hinausgehen traurig prophezeite: »Meine Herren, von morgen an nur noch illegale Straßennutten, bei denen ihr euch was einfangt.«
    Antonio lässt sich kein Wort entgehen. Er kann gut zuhören, ein Talent, das ihm später als Bulle bei zahllosen Gelegenheiten zugutekommen wird. Den Verdächtigen reden lassen, ihn in Sicherheit wiegen, um ihm dann nonchalant die entscheidende Frage hinzuwerfen, die ihn reinreißt.
    Heute Abend kann Antonio nicht einschlafen, er hat einen Steifen von all den Geschichten, so dass er sich am Ende ins Bad einschließt, um sich Erleichterung zu verschaffen, unter dem belustigten Feixen seines Bruders.
    In den darauffolgenden Tagen schwelgen die Zeitungen in Wehmut. Der Schriftsteller Mario Soldati zum Beispiel berichtet, wie er bis zum letzten Schlag der abolitionistischen Mitternacht im Bordell verharrte. Und dann die Verteidigungsreden für die geschlossenen Häuser, viel zu spät, aber gespickt mit klugen Argumenten aller Art von Dino Buzzati, Enzo Biagi, Giorgio Bocca, Alberto Sordi und vielen anderen. Auch ein Pamphlet besagten Montanellis darf natürlich nicht fehlen mit dem Titel Leb wohl, Wanda .
    Kurz gesagt, es ist das Ende einer Epoche, die rote Laterne für immer erloschen; fünfhundertsechzig Bordelle mit zweitausendsiebenhundert Prostituierten haben ihre Pforten geschlossen.
    Die Vorhersage der Puffmutter erfüllt sich im Nu: In den folgenden Tagen tauchen an den Straßenecken ganze Heerscharen von Spaziergängerinnen auf wie auch Kleinwagen, die als Liebesrefugium dienen.
    »Wo sollen die ganzen Nutten sonst auch hin?«, kommentiert ein Gast an der Bar die Fernsehmeldung.
    Jahre später, als er schon Uniform trägt, sollte Antonio häufig die älteren Kollegen von jener letzten Nacht erzählen hören, und stets voller Wehmut. Und er sollte auch Commissario Nicolosi hören – angejahrt, aber pragmatisch wie ehedem –, der zu seinen Männern sagt: »Macht, was ihr wollt, geht ruhig auch zu den Nutten, aber bitte besucht sie zumindest jedes zehnte Mal aus beruflichen Gründen.«
    2
    Fünf Uhr morgens. Die Stadt ist schwarz, in Erwartung der Dämmerung. Auf den Straßen nur Polizeistreifen, ein paar Nachtschwärmer auf dem Heimweg und Berufstätige, die früh mit der Arbeit beginnen.
    Der Amerikaner fällt unter keine der drei Kategorien. Er fährt langsam, denn der Kofferraum seines Cadillac 5000 ist voll mit Beutegut. Die ›Arbeit‹ war ein Erfolg, der Tipp heiß. Eine kleine Villa in der Gegend von San Siro, siebzig Kilometer nördlich von Mailand, völlig verlassen. Die Eigentümer für ein Wochenende außer Haus und sie drinnen: Zwei Säcke füllen sie mit Schmuck und Geld.
    Er und dieser Junge, der zusammengerollt auf der Rückbank liegt und schläft. Robertino, klein und agil wie ein Äffchen, hat sich durch ein rückwärtiges Fenster ins Haus gezwängt und die Vordertür geöffnet, sonst wäre der Amerikaner niemals hineingekommen. Er ist ein großer Mann von fast zwei Metern und trotz seines Spitznamens Italiener mit Leib und Seele, die Mutter Mailänderin, der Vater Ungar und gestorben, als er noch klein war.
    Die Mutter hat eine Milchbar in der Via Novara, die sich die ›Krimenbar‹ nennt aufgrund der zwielichtigen Stammkundschaft. Hier trifft sich das Gesindel der Stadt, ein unterschiedsloser Mix aus Ex-Faschisten und Ex-Partisanen, die in den letzten Kriegstagen Überfälle, Plünderungen, Entführungen und angeblich sogar Morde begangen haben. Jetzt sitzen sie gelangweilt in der Bar und tun so, als wären sie normale, anständige Leute.
    Das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher