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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto
Autoren: Klaus Mann
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wahrscheinlich sollte es ein Schal werden oder ein Sweater. »Es tut mir so schrecklich leid, daß ich heute abend nicht im Theater sein konnte«, sagte sie, den Blick auf ihrer Strickerei. »Aber du weißt ja: meine Migräne, ich fühlte mich gar nicht gut. Wie war es denn? Sicher ein großer Erfolg? Erzähl doch ein bißchen!«
    Er antwortete mechanisch und starrte sie an aus Augen, die an ihr vorbei zu sehen und sie doch, mit einer sonderbaren zerstreuten Gier, zu verschlingen schienen: »Ja, es war ein Erfolg.«
    »Das dachte ich mir«, nickte sie befriedigt. »Aber du siehst angegriffen aus. Fehlt dir irgend etwas? Soll ich dir einen Tee machen?«
    Er schüttelte stumm den Kopf.
    Sie ließ sich neben ihm auf der breiten Lehne des Sessels nieder.
    »Deine Augen sind so merkwürdig.« Sie betrachtete ihn besorgt. »Wo ist deine Brille?«
    »Zerbrochen.« Er versuchte zu lächeln; der Versuch mißlang. Frau Bella berührte mit den Fingerspitzen seinen kahlen Kopf. »Wie dumm!« sagte sie, zu ihm geneigt.
    Da begann er zu weinen. Er warf den Oberkörper nach vorne, seine Stirne sank in den Schoß der Mutter, seine Schultern wurden vom Weinkrampf geschüttelt.
    Frau Bella war an die nervösen Zustände ihres Sohnes gewöhnt. Trotzdem erschrak sie. Ihr Instinkt begriff, daß dieses Schluchzen andere, tiefere und schlimmere Gründe hatte als die kleinen Zusammenbrüche, die er sich häufig gönnte.
    »Aber was ist denn – was ist denn …«, redete sie. Ihr Gesicht, das dem des Sohnes so glich – aber unschuldiger und zugleich erfahrener schien als das seine – war nahe bei ihm. Sie spürte an ihren Händen die Feuchtigkeit seiner Tränen. Er griff mit einer heftigen Gebärde nach ihrem Hals, als wollte er sich an ihm festklammern. Ihre Dauerwellenfrisur geriet in Unordnung. Sie hörte, wie Hendrik keuchte und stöhnte. Ihr Herz füllte sich bis zum Rande mit Mitleid. Mitleidend verstand sie alles. Sie begriff seine ganze Schuld, sein großes Versagen und die verzweifelt ungenügende Reue, und warum er hier liegen mußte und schluchzen. »Aber Heinz!« flüsterte sie. »Aber Heinz – so beruhige dich doch! So arg ist es doch nicht! Aber Heinz …«
    Unter dieser Anrede – unter diesem Namen der jungen Jahre, den sein Ehrgeiz und sein Hochmut weggeworfen hatten, wurde sein Weinen erst noch heftiger; dann aber ließ es nach. Seine Schultern ruhten. Sein Gesicht blieb stille auf Frau Bellas Knien.
    Es waren Minuten vergangen, als er sich langsam aufrichtete. In seinen Augenwimpern hingen noch Tränen, und Tränen waren es noch, die seine Wangen befeuchteten, seine sieghaft geschwungenen Lippen, von denen so viele verführt worden waren, und das edle Kinn, das er stolz zu recken wußte in den Stunden des Triumphes und das jetzt jämmerlich bebte. Während sein erschöpftes, tränennasses Antlitz ein wenig nach hinten sank, rief er, die Arme mit schöner, klagender, hilflos-hilfesuchender Geste gebreitet: »Was wollen die Menschen von mir? Warum verfolgen sie mich? Weshalb sind sie so hart? Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler!«
     
     
     
     
    Alle Personen dieses Buches stellen Typen dar, nicht Porträts. K.M.
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