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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto
Autoren: Klaus Mann
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Gnade riskierte, wenn er sich für den Augenblick weiter um das Los seines alten Freundes bekümmerte. Ich will ein paar Tage vergehen lassen, beschloß er. Wenn ich den Dicken einmal in besserer Laune treffe, werde ich mit aller Vorsicht versuchen, auf die Sache zurückzukommen. Einmal werde ich den Otto schon noch herausbekommen, aus dem Columbiahaus oder aus dem Lager. Aber jetzt ist Schluß! Der Bursche muß mir ins Ausland. Durch seine sinnlose Unvorsichtigkeit, durch seinen antiquierten und kindischen Begriff vom Heroischen wird er mich noch in die schlimmsten Unannehmlichkeiten bringen …
    Als es Hendrik nach zwei Tagen noch immer nicht geglückt war, sich irgendwelche Nachrichten über Ulrichs zu verschaffen, wurde er unruhig. Den Ministerpräsidenten schon wieder telephonisch zu behelligen wagte er nicht. Nach langem Überlegen entschloß er sich dazu, Lotte anzurufen. Die herzensgute Frau des großen Mannes erklärte zunächst, sie sei froh, einmal wieder Hendriks liebe Stimme zu hören. Er versicherte ihr, etwas hastig, daß es ihm, was ihre Stimme betreffe, genau so ergehe; übrigens habe er diesmal für seinen Anruf auch noch einen besonderen Grund. »Ich mache mir Sorgen um Otto Ulrichs«, sagte Höfgen. – »Wieso denn Sorgen?« rief die Ährenblonde aus ihrem Rokoko-Boudoir zurück. »Er ist doch tot.« Sie war erstaunt darüber und schien es beinahe drollig zu finden, daß Hendrik es noch nicht wußte. – »Er ist tot …«, wiederholte Hendrik leise. Zum Erstaunen der Frau Generalin hängte er ein, ohne sich von ihr verabschiedet zu haben.
    Hendrik ließ sich sofort zum Ministerpräsidenten fahren. Der Gewaltige empfing ihn in seinem Arbeitszimmer. Er trug ein phantastisches Hausgewand, das an den Manschetten und am Kragen mit Hermelinpelz besetzt war. Zu seinen Füßen ruhte eine ungeheure Dogge. Über dem Schreibtisch blitzte, vor einer schwarzen Draperie, ein breites, schartiges Schwert. Auf einem Marmorsockel stand eine Büste des Führers, die mit blinden Augen zwei Photographien anstarrte: die eine stellte Lotte Lindenthal als Minna von Barnhelm dar, die andere jene skandinavische Dame, die einstmals den verwundeten Abenteurer durch Italien gefahren hatte und über deren Urne sich nun ein enormes Grabmal wölbte – schimmernde Kuppel aus Marmor und vergoldetem Stein, mit welcher der Witwer seine Dankbarkeit auszudrücken meinte, während er doch nur seinem eigenen Dünkel das Denkmal gesetzt hatte.
    »Otto Ulrichs ist tot«, sagte Hendrik, der an der Türe stehengeblieben war.
    »Gewiß doch«, antwortete der Dicke vom Schreibtisch her. Da er sah, daß eine Blässe wie der Widerschein einer weißen Flamme über Hendriks Gesicht lief, fügte er hinzu: »Es scheint sich um einen Selbstmord zu handeln.« Dies sprach der Ministerpräsident, ohne zu erröten.
    Hendrik taumelte eine Sekunde lang. Mit einer unbeherrschten Gebärde, die gar zu deutlich sein Grauen ausdrückte, griff er sich an die Stirn. Es war vielleicht die erste völlig aufrichtige, durchaus nicht stilisierte Geste, die der Ministerpräsident zu sehen bekam vom Schauspieler Höfgen. Der große Mann war enttäuscht von solchem Mangel an Haltung bei seinem gewandten Liebling. Er erhob sich, richtete sich auf zu seiner ganzen erschreckenden Größe. Mit ihm erhob sich die fürchterliche Dogge und knurrte.
    »Ich habe Ihnen schon einmal den guten Rat gegeben«, sagte der Fliegergeneral drohend, »und ich wiederhole ihn jetzt – obwohl ich es nicht gewöhnt bin, irgend etwas zweimal auszusprechen –: Lassen Sie Ihre Finger von dieser Sache!« Das war deutlich. Erschauernd empfand Hendrik die Nähe des Abgrundes, an dessen Rand er sich immer bewegte und in dessen Tiefe dieser fette Riese ihn stoßen konnte, wenn ihm die Lust dazu kam. – Der Ministerpräsident stand mit geducktem Kopf; an seinem Stiernacken traten drei wulstige breite Falten hervor. Seine kleinen Augen blitzten, ihre Lider waren entzündet, und auch das Weiße der Augäpfel färbte sich rötlich, als wäre dem ärgerlichen Tyrannen eine Welle von Blut ins Haupt gestiegen, die ihm nun den Blick trübte. »Die Sache ist nicht sauber«, sagte er noch. »Dieser Ulrichs war in dreckige Affären verwickelt, er hatte allen Grund, sich umzubringen. Der Intendant meiner Staatstheater sollte sich nicht gar zu sehr für einen notorischen Hochverräter interessieren.«
    Das Wort ›Hochverräter‹ hatte der General gebrüllt. Hendrik wurde schwindlig, so dicht vor sich sah
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