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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto
Autoren: Klaus Mann
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er den Abgrund nun. Um nicht zu stürzen, klammerte er sich an die Lehne eines der schweren Renaissance-Sessel. Als er um die Erlaubnis bat, sich zurückziehen zu dürfen, entließ ihn der Ministerpräsident mit einem ungnädigen Kopfnicken. –
    Niemand im Theater wagte, über den ›Selbstmord‹ des Kollegen Ulrichs zu sprechen. Auf irgendeine geheimnisvolle und unkontrollierbare Weise erfuhren trotzdem alle, wie er gestorben war. Er war nicht hingerichtet, sondern zu Tode gequält worden. Durch unbarmherzige Foltern hatte man versucht, die Namen seiner Mitarbeiter und Freunde von ihm zu erpressen. Er aber war standhaft geblieben. Wut und Enttäuschung bei der Gestapo waren gewaltig; denn auch in Ulrichs' Wohnung hatte man kein Material gefunden, es gab nichts Geschriebenes, keine Notiz, keinen Zettel mit einer Adresse. Kaum noch in der Hoffnung, etwas aus ihm herauszubekommen, sondern eigentlich nur noch, um ihn für seinen Eigensinn zu züchtigen, hatte man die Martern gesteigert. Vielleicht war den Folterknechten nicht einmal der ausdrückliche Befehl zugegangen, ihn zu töten; das Opfer starb ihnen beim dritten ›Verhör‹ unter den Händen. Da war sein Körper nur noch eine blutige, entstellte Masse, und seine Mutter, die irgendwo in der Provinz lebte und vor Jammer wunderlich wurde, als sie von seinem Selbstmord erfuhr – seine arme Mutter hätte das verschwollene, aufgeplatzte, zerrissene, von Eiter, Blut und Kot verschmierte Gesicht nicht wieder erkannt, welches das Menschenantlitz ihres Sohnes gewesen war.
    »Geht es dir nahe, Hendrik?« erkundigte sich Nicoletta mit einer merkwürdig kalten und, wie es schien, beinahe höhnischen Neugierde bei ihrem Gatten. »Beschäftigt es dich?«
    Hendrik wagte nicht, ihren Blick zu erwidern.
    »Ich habe Otto so lange gekannt …«, sagte er leise, als hätte er für etwas um Entschuldigung zu bitten.
    »Er hat gewußt, was er riskierte«, erklärte Nicoletta. »Wenn man spielt, muß man darauf gefaßt sein, den Einsatz zu verlieren.«
    Hendrik, dem das Gespräch peinlich war, murmelte noch: »Armer Otto!« – um doch irgend etwas zu erwidern.
    Sie versetzte schneidend: »Wieso – arm?« Und fügte hinzu: »Er ist für die Sache gestorben, die ihm die richtige schien. Er ist vielleicht zu beneiden.« Nach einer Pause sprach sie träumerisch: »Ich will Marder schreiben und ihm von Ottos Tod erzählen. Marder bewundert Menschen, die ihr Leben für eine idée fixe aufs Spiel setzen. Er liebt die Eigensinnigen. Er wäre selber dazu fähig, aus Eigensinn sein Leben zu opfern. Vielleicht wird er finden, daß dieser Ulrichs eine Persönlichkeit gewesen ist und Disziplin besessen hat.« Hendrik machte eine ungeduldige Handbewegung. »Otto war gar keine besondere Persönlichkeit«, sagte er. »Er war ein einfacher Mensch – ein einfacher Soldat der großen Sache …« Hier verstummte er und über sein fahles Gesicht ging eine flüchtige Röte. Er schämte sich seiner Worte. Er empfand Scham, weil er Worte gebraucht hatte, deren Ernst ihm durch Ottos Tod tiefer bewußt geworden war, als jemals zuvor. Da er das Gewicht und die Würde solcher Worte verstand – jetzt, in diesem einen kurzen Augenblick verstand –, spürte er, daß er sie entweihte, wenn er sie über seine Lippen kommen ließ. Er fühlte, daß die ernsten Worte aus seinem Munde klangen wie Hohn. –
    An der Beerdigung des Schauspielers Otto Ulrichs, der seinem Leben ›freiwillig und aus Furcht vor der gerechten Strafe des Volksgerichts‹ ein Ende gemacht hatte, durfte niemand teilnehmen. Der Staat hätte den entstellten Leichnam verscharren lassen, wie einen verreckten Hund. Aber die Mutter des Verstorbenen, eine fromme Katholikin, schickte Geld für den Sarg und für einen kleinen Grabstein. In einem Brief, der durch Fett- und Tränenflecke fast unleserlich war, bat sie, man möge ihrem Kinde ein christliches Begräbnis gönnen. Die Kirche mußte sich weigern: dem Sarg des Selbstmörders darf kein Priester folgen. Die alte Frau, in ihrer armseligen Kammer, betete für den verlorenen Sohn. »Er hat nicht an Dich geglaubt, lieber Gott, und er hat viel gesündigt. Aber er war nicht schlecht. Er ist den falschen Weg gegangen, nicht aus Verstocktheit, sondern weil er ihn für den richtigen hielt. Alle Wege, die man in der guten Absicht geht, müssen bei Dir enden, lieber Gott. Du wirst ihm verzeihen und ihm die ewige Verdammnis erlassen. Denn Du siehst in die Herzen, ewiger Vater, und das Herz meines
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