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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto
Autoren: Klaus Mann
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verirrten Sohnes war rein.«
    Übrigens wäre es der alten Frau nicht möglich gewesen, das Geld für Sarg und Grabstein aufzubringen; denn sie besaß nichts, keinen Pfennig und keinen Gegenstand mehr, der noch in Geld umzusetzen war. Sie lebte davon, daß sie zerrissene Wäschestücke ausbesserte, sie mußte oft hungern; nun, da Otto sie nicht mehr unterstützen konnte, würde es noch ärger und schlimmer für sie werden. – Ein Freund des Verstorbenen, der seinen Namen nicht nannte, hatte ihr die Summe für die Begräbniskosten aus Berlin geschickt, mit genauen Anweisungen, an welche Stellen sie das Geld weiterzuleiten habe. ›Verzeihen Sie mir, daß ich meinen Namen nicht nenne‹, schrieb der Unbekannte. ›Sie werden sicherlich die Gründe begreifen und billigen, die mich zur Vorsicht zwingen.‹
    Die alte Frau begriff gar nichts. Sie weinte ein wenig, wunderte sich, schüttelte den Kopf, betete und schickte das Geld, das sie gerade aus Berlin bekommen hatte, wieder dorthin zurück. In den Städten scheinen sie alle närrisch geworden zu sein, dachte sie. Warum muß das Geld erst durch halb Deutschland reisen, wenn es doch aus Berlin ist und in Berlin ausgegeben werden soll? Aber sicher ist es ein guter Mensch, der das für meinen Otto getan hat – sicher ein guter und frommer Mensch. Und sie schloß den unbekannten Spender in ihre Gebete ein.
    So wurden Grabstein und Sarg des ermordeten Revolutionärs von der hohen Gage bezahlt, die der Herr Intendant vom nationalsozialistischen Staate bezog. Dies war das letzte und einzige, was Hendrik Höfgen noch für seinen Freund Otto Ulrichs leisten konnte –: es war die letzte Beleidigung, die er ihm antat. Hendrik aber fühlte sich erleichtert, nachdem das Geld an Mutter Ulrichs abgegangen war. Nun war sein Gewissen doch ein wenig beruhigt, und auf der Seite, wo er in seinem Herzen die ›Rückversicherungen‹ buchte, gab es wieder einen positiven Posten. Die Spannung, in der er sich während der letzten schlimmen Tage befunden hatte, ließ nach. Der Druck wich von ihm. Es gelang ihm, seine ganze Energie auf den Hamlet zu konzentrieren.
    Diese Rolle bereitete ihm Schwierigkeiten, auf die er nicht gefaßt gewesen war. Mit welchem Leichtsinn hatte er damals, in Hamburg, den Dänenprinzen improvisiert! Der gute Kroge hatte geschäumt und noch auf der Generalprobe die Vorstellung absagen wollen. ›Denn solche Schweinereien dulde ich nicht in meinem Hause!‹ hatte der alte Vorkämpfer eines geistigen Theaters gebrüllt. Hendrik erinnerte sich lächelnd daran.
    Nun gab es niemanden mehr, der in seiner Gegenwart und ihn betreffend von ›Schweinereien‹ zu reden wagte. Aber wenn er alleine war und keiner ihn hören konnte, stöhnte Hendrik: »Ich schaffe es nicht!«
    Beim Mephisto war er, vom ersten Augenblick an, jedes Tones und jeder Geste sicher gewesen. Der Dänenprinz aber war spröde, er verweigerte sich. Hendrik kämpfte um ihn. »Ich lasse dich nicht!« rief der Schauspieler. Hamlet jedoch antwortete ihm – abgewendet, traurig, spöttisch, unendlich hochmütig –: »Du gleichst dem Geist, den du begreifst – nicht mir!«
    Der Komödiant schrie den Prinzen an: »Ich muß dich spielen können! Wenn ich vor dir versage, dann habe ich ganz versagt. Du bist die Feuerprobe, die ich bestehen will. Mein ganzes Leben und alles, was ich gesündigt habe – mein großer Verrat und all meine Schande sind allein zu rechtfertigen durch mein Künstlertum. Ein Künstler aber bin ich nur, wenn ich Hamlet bin.« – »Du bist nicht Hamlet«, antwortete ihm der Prinz. »Du besitzest nicht die Vornehmheit, die man sich allein durch das Leiden und durch die Erkenntnis erwirbt. Du hast nicht genug gelitten, und was du erkannt hast, war dir nicht mehr wert als ein hübscher Titel und eine stattliche Gage. Du bist nicht vornehm; denn du bist ein Affe der Macht und ein Clown zur Zerstreuung der Mörder. Übrigens siehst du auch gar nicht aus wie Hamlet. Schau dir doch einmal deine Hände an – sind das die Hände dessen, den Leid und Erkenntnis adeln? Deine Hände sind plump, du magst sie noch so fein und gotisch halten. Außerdem bist du zu dick. Es tut mir leid, dich darauf hinweisen zu müssen – aber ein Hamlet mit solchen Hüften: o weh!« Hier lachte der Prinz, hohl und höhnisch, aus der mythischen Ferne seines ewigen Ruhmes.
    »Du weißt, daß ich auf der Bühne immer noch sehr schlank aussehen kann!« rief gereizt und beleidigt der Komödiant. »Ich habe mir ein Kostüm
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