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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto
Autoren: Klaus Mann
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entwerfen lassen, in dem mein Todfeind nichts an mir von dicken Hüften bemerken dürfte. Es ist eine Gemeinheit von dir, mich jetzt an sie zu erinnern, wo ich ohnedies so nervös bin! Warum liegt dir denn daran, mich zu kränken? Haßt du mich denn so sehr?«
    »Ich hasse dich überhaupt nicht.« Der Prinz hatte ein verächtliches Achselzucken. »Ich habe gar keine Beziehung zu dir. Du bist nicht meinesgleichen. Du hattest die Wahl, mein Lieber: zwischen der Vornehmheit und der Karriere. Nun, du hast dich entschieden. Sei glücklich, aber laß mir meine Ruhe!« Da begann die schmale Figur schon, sich aufzulösen.
    »Ich lasse dich nicht!« keuchte noch einmal der Komödiant und streckte seine beiden Hände, über die der Schatten sich so herabsetzend geäußert hatte, nach dem Prinzen aus; aber sie griffen ins Leere.
    »Du bist nicht Hamlet!« versicherte ihm, nun aus weiter Ferne, die fremde, hochmütige Stimme. –
    Er war nicht Hamlet, aber er spielte ihn, seine Routine ließ ihn nicht im Stich. »Es wird großartig!« sagten ihm der Regisseur und die Kollegen – sei es aus Instinktlosigkeit, sei es, um dem Intendanten zu schmeicheln. »Seit den Tagen des großen Kainz hat man eine solche Leistung auf keiner deutschen Bühne gesehen!« – Er selbst indessen wußte, daß er den Versen ihren eigentlichen Inhalt, ihr Geheimnis schuldig blieb. Seine Darstellung blieb im Rhetorischen stecken. Da er sich unsicher fühlte und keine wirkliche Vision des Hamlet besaß, experimentierte er. Mit einer nervösen Heftigkeit setzte er Nuancen, kleine Überraschungseffekte nebeneinander, denen der innere Zusammenhang fehlte. Er hatte beschlossen, die männliche, energievolle Komponente des Dänenprinzen zu betonen. »Hamlet ist kein Schwächling«, erklärte er den Kollegen und dem Regisseur; auch den Journalisten gegenüber sprach er sich in diesem Sinn aus. »Er ist nichts weniger als feminin – ganze Schauspielergenerationen haben den Irrtum begangen, ihn als femininen Typus aufzufassen. Seine Melancholie ist kein leerer Spleen, sondern hat greifbare Gründe. Der Prinz tritt vor allem als der Rächer seines Vaters auf. Er ist Renaissance-Mensch – durchaus aristokratisch und nicht ohne Zynismus. Mir liegt vor allem daran, ihm die wehleidigen, larmoyanten Züge zu nehmen, mit denen eine konventionelle Deutung ihn belastet hat.«
    Regisseur, Kollegen und Journalisten fanden dies sehr neuartig, kühn und interessant. Benjamin Pelz, mit dem Höfgen lange Unterhaltungen über den Hamlet hatte, war begeistert über Hendriks Konzeption. »Nur so, wie Ihr Genie ihn fühlt und begreift, ist der Dänenprinz für uns Menschen von heute – die wir zynische Tatmenschen sind – überhaupt noch erträglich«, sagte Pelz.
    Die Figur, welche Hendrik Höfgen aus dem Hamlet machte, war ein preußischer Leutnant mit neurasthenischen Zügen. Alle Akzente, mit denen er über die Hohlheit seines Spieles hinwegtäuschen wollte, waren maßlos und schrill. Im einen Augenblick stand er stramm, um im nächsten mit großem Lärm in Ohnmacht zu fallen. Statt zu klagen, schrie und tobte er. Sein Lachen gellte, seine Bewegungen zuckten. Die tiefe und geheimnisvolle Melancholie, die er als Mephisto gehabt hatte – ohne sie zu beabsichtigen, ohne sie zu spielen; sondern nach rätselhaftem, ihm selber unbewußtem Gesetz –, fehlte seinem Hamlet. Die großen Monologe brachte er in vorbildlich geschicktem Aufbau, aber er ›brachte‹ sie nur. Da er die Klage anstimmte:
    »Oh, schmölze doch dies allzu feste Fleisch,
zerging' und löst' in einen Tau sich auf!«
    – da fehlten ihr die Musik wie die Härte, die Schönheit wie die Verzweiflung; man spürte nicht, was durchdacht und was durchlitten worden war, ehe diese Worte über diese Lippen kamen; weder Gefühl noch Erkenntnis adelten die Rede: sie blieb kokette Lamentation, schmollend-gefallsüchtige kleine Klage.
    Trotzdem hatte die Hamlet-Premiere rauschenden Erfolg. Das neue Berliner Publikum beurteilte die Schauspieler weniger nach der Reinheit und Intensität ihrer künstlerischen Leistung als nach ihren Beziehungen zur Macht. Übrigens war die ganze Inszenierung danach angetan, diesem Parkett von hohen Militärchargen und blutrünstigen Professoren mit ihren nicht minder heroisch gesinnten Damen zu imponieren. Der Regisseur hatte den nordischen Charakter der Shakespeare-Tragödie grob und demonstrativ betont. Die Handlung spielte sich vor klotzigen Dekorationen ab, die wohl als Hintergrund für
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