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Mephisto

Mephisto

Titel: Mephisto
Autoren: Klaus Mann
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die Recken des Nibelungenliedes getaugt hätten. Auf der Bühne, die in einer düsteren Dämmerung lag, gab es immer rasselnde Schwerter und viel rauhes Geschrei. Inmitten der rauhen Gesellen bewegte Hendrik sich mit tragischer Geziertheit. Einmal leistete er sich den Scherz, minutenlang regungslos an einem Tisch zu sitzen und dem erschütterten Publikum nur seine Hände zu zeigen. Das Gesicht blieb im Dunkel; die Hände lagen, kalkig weiß geschminkt und vom Scheinwerfer grell angeleuchtet, auf der schwarzen Tischplatte. Der Intendant stellte seine unschönen Hände aus wie Kostbarkeiten: Dies tat er halb aus Übermut – um zu sehen, wie weit er es treiben konnte –, teils um sich selbst zu quälen: denn er litt heftig unter dieser Exhibition seiner breiten, ordinären Finger.
    »Hamlet ist das repräsentative germanische Drama«, hatte Doktor Ihrig in seiner vom Propagandaministerium inspirierten Vorbesprechung verkündigt. »Der Dänenprinz gehört zu den großen Symbolen des deutschen Menschen. In ihm finden wir einen Teil unseres tiefsten Wesens ausgedrückt. Hölderlin rief über uns aus:
    ›Denn, ihr Deutschen, auch ihr seid
tatenarm und gedankenvoll‹
    Hamlet ist also auch eine Gefahr des deutschen Menschen. Wir haben ihn alle in uns, und wir müssen ihn überwinden. Denn die Stunde verlangt von uns Aktionen, nicht nur Gedanken und die zersetzende Reflexion. Eine Vorsehung, die uns den Führer geschickt hat, verpflichtet uns zur Tat im Interesse der nationalen Gemeinschaft, von der Hamlet, dieser typische Intellektuelle, sich grüblerisch absondert und entfernt.« Allgemein war man der Ansicht, daß Höfgen den tragischen Konflikt zwischen Tatbereitschaft und Gedankentiefe, der den deutschen Menschen auf so interessante Weise von allen übrigen Lebewesen unterscheidet, in seiner Hamlet-Darstellung selber spürbar werden ließ. Denn er stellte den Prinzen als Draufgänger mit nervösen Störungen vor ein Publikum hin, das sowohl für Draufgängertum als auch für neurasthenische Anfechtungen volles Verständnis hatte.
    Der Intendant, dessen Kostüm in der Tat so geschickt gearbeitet war, daß er in ihm jünglingshaft schmalhüftig wirkte, mußte sich immer wieder zeigen. Neben ihm verneigte sich seine junge Gattin, Nicoletta Höfgen, die eine etwas wunderliche und starre, aber vor allem in den Wahnsinns-Szenen eindrucksvolle Ophelia gewesen war.
    Der Ministerpräsident, schimmernd in Purpur, Gold und Silber, und seine Lotte, sanft strahlend in Himmelblau, standen nebeneinander in ihrer Loge und spendeten demonstrativen Applaus. Das war die Versöhnung des Gewaltigen mit seinem Hofnarren: Mephistopheles-Hendrik empfand es dankbar. Schön und bleich in seinem Hamlet-Kostüm verbeugte er sich tief vor dem hohen Paar. Lotte ist wieder verliebt in mich, dachte er, während er die rechte Hand mit einer Geste, die von Erschöpftheit zeugte, aber doch schöne Rundung hatte, zum Herzen führte. Sein großer, mit sublimer Sorgfalt dunkelrot nachgeschminkter Mund zeigte ergriffenes Lächeln; unter den runden, schwarzen Bögen der Brauen sandten die Augen verführerische, süße und kalte Lichter; der überanstrengte, leidvoll gespannte Zug an den Schläfen veredelte sein Antlitz und ließ seine ruchlosen Reize rührend wirken. Nun winkte die Frau Fliegergeneralin ihm mit dem Seidentüchlein, das die himmelblaue Farbe ihrer Robe hatte. Der General grinste.
    Ich bin wieder in Gnaden aufgenommen, dachte Hamlet erleichtert.
    Er lehnte alle Einladungen ab, entschuldigte sich mit großer Müdigkeit und ließ sich nach Hause fahren. Als er sich in seinem Arbeitszimmer allein befand, merkte er, daß an Schlafen kaum zu denken war. Er war deprimiert und erregt. Der laute Beifall ließ ihn nicht vergessen, daß er versagt hatte. Es war gut und wichtig, daß die Huld des Dicken, um die er schon hatte zittern müssen, wiedererobert war. Aber sogar dieser wesentliche und bedeutsame Erfolg des Abends konnte ihn nicht hinwegtrösten über das Fiasko, das sein höherer Anspruch, sein besserer Ehrgeiz heute erlitten hatte. Ich war nicht Hamlet, dachte er gramvoll. Die Zeitungen werden mir versichern, daß ich in jedem Zoll der Dänenprinz gewesen bin. Aber sie werden lügen. Ich war falsch, ich war schlecht – so viel Selbstkritik bringe ich doch noch auf, um das zu wissen. Wenn ich mich des hohlen Tons erinnere, mit dem ich ›Sein oder Nichtsein‹ deklamiert habe, dann zieht sich alles in mir zusammen …
    Er ließ sich in einem
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