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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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wandte sich dem Flur zu und sagte: »Dann nehm ich mir mal für ein paar Stunden den Bohrer.«
    Simon hörte, wie die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Ein kalter Luftzug wirbelte um seine Füße. Er hob das Fernglas und spähte zum Leuchtturm hinaus. Drei kleine Ameisen kletterten soeben den Felsen hinauf.
    »Wartet mal kurz!«
    Anders zeigte Maja und Cecilia gestikulierend, wie sie stehen sollten, und machte ein Bild, zwei Bilder, drei Bilder, bei denen er unterschiedlich nahe heranzoomte. Maja versuchte die ganze Zeit wegzukommen, aber Cecilia hielt sie neben sich fest. Die beiden kleinen Menschen im Schnee und der Leuchtturm, der sich hinter ihnen auftürmte, waren ein grandioser Anblick. Anders hob den Daumen und verstaute die Kamera wieder.
    Maja und Cecilia gingen zu der leuchtend roten Tür in der Wand des Leuchtturms hinauf. Anders blieb mit den Händen in den Taschen stehen und betrachtete den gut zwanzig Meter hohen Turm. Er war aus Stein gemauert. Keinen Ziegelsteinen, sondern gewöhnlichen Feldsteinen. Ein Bauwerk, das den Eindruck erweckte, wirklich allem gewachsen zu sein.
    Was für eine Arbeit das gewesen sein muss. Die ganzen Steine herzuschaffen, sie zu tragen, an ihren Platz zu setzen …
    »Papa! Papa, komm!«
    Maja stand neben der Leuchtturmtür, hüpfte vor Aufregung und winkte mit ihren Fäustlingen.
    »Was ist denn?«, fragte Anders, als er zu den beiden hinaufging.
    »Sie ist offen!«
    Tatsächlich. Hinter der Tür standen eine Sammelbüchse und ein Ständer mit Broschüren. Auf einem Schild war zu lesen, dass einen die Schärenstiftung im Leuchtturm von Gåvasten herzlich willkommen hieß. »Nehmen Sie sich ein Informationsblatt und steigen sie den Leuchtturm hinauf, wir sind für jede Spende dankbar.«
    Anders wühlte in seinen Taschen und fand einen zerknüllten Fünfziger, den er mit Freuden in die leere Büchse presste. Das übertraf seine kühnsten Erwartungen. Er hätte niemals gedacht, dass der Leuchtturm offen stehen würde, vor allem nicht im Winter.
    Maja war schon auf dem Weg die Treppe hinauf. Anders und Cecilia folgten ihr. Die ausgetretene Wendeltreppe aus Stein war so schmal, dass man nicht zu zweit nebeneinander gehen konnte. Die Fensternischen waren mit Eisenluken verschlossen, die mit Flügelmuttern festgeschraubt waren.
    Cecilia blieb stehen. Anders hörte, dass sie tief durchatmete. Sie streckte ihre Hand nach hinten aus. Anders nahm sie und fragte: »Geht’s?«
    »Doch, doch.«
    Cecilia bewegte sich weiter aufwärts, wobei sie Anders’ Hand drückte. Sie bekam leicht Platzangst, und der Leuchtturm war so gesehen der reinste Albtraum. Die dicken Steinwände, die sich eng nebeneinander erhoben, schluckten alle Geräusche, und Licht kam nur von der offenen Tür ganz unten und einer schwächeren Lichtquelle über ihnen.
    Vierzig Treppenstufen später war es hinter ihnen vollkommen dunkel, während das Licht über ihnen dafür an Stärke zunahm. Irgendwo dort oben hörte man Majas Stimme: »Kommt! Kommt gucken!«
    Die Treppe endete an einer offenen Luke in einem Holzboden. Sie standen in einem runden Raum, in dem ein paar kleine Fenster mit dicken Glasscheiben für ausreichend Licht sorgten. Mitten im Raum gab es eine weitere offene Tür, die in einen Turm im Turm führte und aus der ihnen Licht entgegenströmte.
    Cecilia setzte sich auf den Fußboden und strich sich übers Gesicht. Als Anders in die Hocke ging, wedelte sie abwehrend mit der Hand. »Keine Sorge. Ich muss nur …«
    Maja rief von oben aus dem Turm, und Cecilia erklärte, er könne ruhig zu ihr gehen, sie werde gleich nachkommen. Anders strich ihr übers Haar und ging zu der offenen Tür, die zu einer weiteren Wendeltreppe führte, die diesmal jedoch aus Eisen war. Das Licht stach in den Augen, als er die zwanzig Stufen zum Herz und Hirn des Leuchtturms, dem Reflektor, hinaufstieg.
    Anders blieb stehen und staunte. Es war unglaublich schön.
    Aus der Dunkelheit steigen wir zum Licht empor. Nach dem Aufstieg auf der dunklen Treppe war es ein Schock, in die Leuchtturmspitze zu kommen. Über einem weiß gekalkten Sockel waren die kreisrunden Wände ganz aus Glas, und alles war Himmel und himmlisches Licht. Mitten im Raum stand der Reflektor, ein Obelisk aus Prismen und verschiedenfarbigen, geometrisch exakten Glasteilen. Ein Heiligtum, geweiht dem Licht.
    Maja hatte Nase und Hände gegen die Glaswand gepresst. Als sie Anders kommen hörte, zeigte sie in nordöstlicher Richtung aufs Eis
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