Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
hörte Cecilias ferne Schreie. Maja war verloren gegangen. Sie war verschwunden.
    Hör auf, hör auf.
    Trotzdem wusste ein Teil von ihm, dass es so war.
    Es war kurz nach zwei, als Simons Telefon klingelte. Die letzte Stunde hatte er damit verbracht, am Tisch zu sitzen und sich alte Zauberutensilien anzusehen, die seine rheumatischen Hände nicht mehr benutzen konnten. Er hatte in Erwägung gezogen, sie zu verkaufen, sich dann jedoch entschlossen, sie als Familienkleinode zu behalten.
    Als das Telefon läutete, hob er beim zweiten Klingelzeichen ab. Er kam kaum dazu, sich zu melden, ehe Anders’ Stimme ihn auch schon unterbrach.
    »Hallo, hier ist Anders. Hast du Maja gesehen?«
    »Ist sie nicht bei euch?«
    Kurze Pause. Ein zitterndes Ausatmen am anderen Ende. Simon ahnte, dass er soeben eine Hoffnung zunichte gemacht hatte. »Was ist los?«
    »Sie ist verschwunden. Ich hab gewusst, dass sie nicht bis zum Land gelaufen sein kann, aber ich hab gedacht, dass … ich weiß auch nicht, Simon, sie ist verschwunden.
    »Seid ihr beim Leuchtturm?«
    »Ja. Und sie kann eigentlich nicht … das ist völlig unmög lich … es gibt hier doch nirgendwo … aber sie ist nicht hier … Wo ist sie? Wo ist sie?«
    Zwei Minuten später hatte Simon sich den Mantel übergeworfen und trat das Lastenmoped an. Er fuhr aufs Eis hinaus, wo Elof auf einem Klappstuhl saß und in das Loch hinabstarrte, das er mit Simons Bohrer gebohrt hatte. Als er das Moped näher kommen hörte, blickte er auf. Simon bremste.
    »Hallo. Hast du Maja gesehen, Anders’ Tochter?«
    »Nee … hier? Jetzt?«
    »Ja. In der letzten Stunde.«
    »Nee, hier ist kein Menschen gewesen. Übrigens auch kein Fisch. Wieso?«
    »Sie ist verloren gegangen. Draußen am Leuchtturm.« Elof wandte den Kopf zum Leuchtturm, verharrte dort sekundenlang mit dem Blick und kratzte sich an der Stirn.
    »Können sie die Kleine nicht finden?«
    Simon biss die Zähne zusammen, dass sich seine Kiefermuskeln spannten. Diese verdammte Umständlichkeit. Elof nickte und kurbelte seine Leine ein.
    »Dann werde ich wohl mal … ein paar Leute zusammentrommeln. Wir kommen dann.«
    Simon dankte ihm, legte den Gang ein und fuhr zum Leuchtturm hinaus. Als er sich nach etwa fünfzig Metern umdrehte, stand Elof immer noch da und hantierte mit seinen Angelsachen, um sie fein säuberlich zusammenzupacken, ehe er sich auf den Weg machte. Simon knirschte mit den Zähnen und fuhr so schnell, dass um die Räder Schnee aufwirbelte, während sich die Dämmerung herabsenkte.
    Fünf Minuten später war Simon am Leuchtturm und half bei der Suche, obwohl man nirgendwo suchen konnte. Er konzentrierte sich darauf, kreuz und quer über das Eis zu fahren, um zu prüfen, ob es zutraf, was Elof gesagt hatte, dass es schwache Punkte im Eis gebe. Er fand keine.
    Eine weitere Viertelstunde später sah man von Domarö aus eine Reihe von Punkten näher kommen. Vier Lastenmopeds. Elof und sein Bruder Johan kamen jeder auf seinem. Mats, der Besitzer des Lebensmittelladens, hatte auf der Ladefläche seine Frau Ingrid dabei. Schließlich wurden sie noch von Margareta Bergwall begleitet, einer der wenigen Frauen im Dorf, die ein eigenes Moped besaßen.
    Sie fuhren in immer weiteren Kreisen um den Leuchtturm herum, suchten jeden Quadratmeter der Eisfläche ab. Anders und Cecilia gingen ziellos und stumm auf dem Leuchtturmfelsen umher. Eine Stunde später war es so dunkel, dass der Mond heller leuchtete als das wenige Tageslicht, das noch am Himmel war.
    Simon ging zu Anders und Cecilia hinauf, die ihre Köpfe in die Hände gelegt hatten und an der Leuchtturmtür saßen. Weit draußen auf dem Eis sah man die schwachen Lichter der vier Lastenmopeds, die weiter ihre Kreise zogen, immer im Kreis wie Satelliten um einen verlassenen Planeten. Ein Polizeihubschrauber mit Scheinwerfern war eingetroffen, um die Kreise zu erweitern.
    »Wie war das mit den Spuren?«
    Cecilia machte eine kraftlose Geste in Richtung Domarö. Ihre Stimme war so schwach, dass Simon sich vorbeugen musste, um sie hören zu können.
    »Es gab keine.«
    »Du meinst, dass sie in keine andere Richtung abwichen?«
    »Sie hörten auf. Als wäre sie … in den Himmel gehoben worden.«
    Anders wimmerte. »Das kann nicht passieren. Wie kann so etwas nur passieren?«
    Er sah in Simon hinein, durch Simon hindurch, als suchte er die Antwort in einem Wissen, das hinter der Netzhaut lag.
    Simon richtete sich auf, ging wieder aufs Eis hinunter, setzte sich auf die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher