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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort
Autoren: Ulla Hahn
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Hildegard Palm, 1945 in Dondorf bei Köln geboren, ist die Tochter eines ungelernten Arbeiters und seiner Frau Maria, erzogen im katholischen Glauben. »Wie viele Seiten hat ein Ding?« fragt die Sechsjährige ihren Großvater. »So viele, wie wir Blicke für sie haben«, antwortet er. Ihren Eltern ist Hilde verdächtig: Sie ist ganz offensichtlich aus der Art geschlagen, will sich nicht anpassen an die Regeln der Arbeiterklasse, strebt nach Höherem, spricht Hochdeutsch und rezitiert Schiller. Das weckt Mißtrauen und Angst in ihrer Familie. Mit neun Jahren legt sie eine Sammlung schöner Sätze und Wörter an - als Gegenwelt zum Gebrüll ihres Vaters und dem ängstlichen Geflüster der Mutter. Bücher werden zu ihrer Rettungsinsel. Als Hildegard in den Schulferien zum ersten Mal am Fließband steht und den anzüglichen Gesprächen ihrer Kolleginnen ausgeliefert ist, wirft sie einen entsetzten Blick in die Zukunft, die ihre Eltern für sie vorgesehen haben ... Doch sie findet eine zweite, reichere Wirklichkeit: die Freiheit im Wort und die Kraft in der Literatur.
    Ulla Hahn wurde am 30. April 1946 in Brachthausen/Sauerland geboren und wuchs im Rheinland auf. Studium der Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie, Promotion. Lehraufträge an den Universitäten Hamburg, Bremen und Oldenburg, anschließend Redakteurin für Literatur beim Rundfunk in Bremen. Für ihr literarisches Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
    Deutscher Taschenbuch Verlag
    Von Ulla Hahn
    sind im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen: Ein Mann im Haus (12745) Unscharfe Bilder (13320)
    Ulla Hahn Das verborgene Wort RomanNeuausgabe März 2008 5. Auflage Oktober 2009 Veröffentlicht im Juni 2003 im Deutschen Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München www.dtv.de © 2001 Deutsche Verlags-Anstalt, München Verlagsgruppe Random House GmbH Abb. S. 5: Tafel aus einem griechischen Wachstafelbuch (Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz/Ägyptisches Museum und Papyrussammlung; Foto: Karin März) Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen Umschlaggestaltung: Stephanie Weischer unter Verwendung einer Fotografie von gettyimages/Tomiko Jones Satz: Fotosatz Reinhard Amann, Aichstetten Gesetzt aus der Stempel Garamond 9,5/11,25' (QuarkXPress) Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany · isbn 978-3-423-21055-3
    Mit Schreiben und Lesen fängt eigentlich das Leben an.
    (Eintragung auf einer Wachstafel mit Schulübungen aus Mesopotamien, 4. bis 5. Jahrhundert n. Chr.)

Lommer jonn , sagte der Großvater, laßt uns gehen, griff in die Luft und rieb sie zwischen den Fingern. War sie schon dick genug zum Säen, dünn genug zum Ernten? Lommer jonn. Ich nahm mir das Weidenkörbchen untern Arm und rief den Bruder aus dem Sandkasten. Es ging an den Rhein, ans Wasser. Sonntags mit den Eltern blieben wir auf dem Damm, dem Weg aus festgewalzter Schlacke. Zeigten Selbstgestricktes aus der Wolle unserer beiden Schafe und gingen bei Fuß. Mit dem Großvater liefen wir weiter, hinunter, dorthin, wo das Verbotene begann, und niemand schrie: Paß op de Schoh op! Paß op de Strömp op! Paß op! Paß op! Niemand, der das Schilfrohr prüfte für ein Stöckchen hinter der Uhr.
    Vom Westen wehte ein feuchter, lauer Wind. Der Rhein roch nach Fisch und Metall, Seifenlauge und Laich, und das Tuten der Schleppkähne, bevor sie an der Raffinerie in die Kurve gingen, war schon jenseits des Dammes in den Feldern und Weiden zu hören.
    Ich riß mich los von der Hand des Großvaters, rannte vorwärts, zurück, ergriff seine Hand, ließ sie fahren und hielt sie wieder, fiel hin und stieß mir das Knie, schrie, Freudenschreie, aufsässig und wild. In einem weiten Bogen führte ein Pfad die Böschung hinab durch sumpfige Wiesen, durchs Schilf ans Ufer aus Sand und Kies.
    Der Großvater ging voran, dicht am Wasser entlang. Flache Wellen füllten die Mulden, die sein Klumpfuß im nassen Sand hinterließ, winzige Teiche, eine blinkende, blitzende Spur, wie nur er sie schaffen konnte.
    Wo im seichten Wasser am Ufer die Algen schwangen, zeigte er uns den Bart des Wassermannes, ein gewaltiges grünes Gestrüpp, das nichts von seinem Gesicht erkennen ließ und von der Piwipp, einem Bootshaus am gegenüberliegenden Ufer, bis zur
    Rhenania reichte. Sprang ein Frosch hoch, sagte der Großvater Prosit!, und wir riefen Hatschi! Der Riese hatte geniest.
    Hürt ihr de Welle? fragte der Großvater
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