Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
hinaus.
    »Papa, was ist das?«
    Außer der weißen Eisdecke und einer Ahnung der Schären von Ledinge in weiter Ferne am Horizont konnte er nichts entdecken.
    »Was meinst du?«
    Maja zeigte hinaus. »Na da. Auf dem Eis.«
    Ein Windstoß wirbelte losen Schnee auf, sodass er sich wie ein Geisterwesen über die reine Fläche bewegte. Anders schüttelte den Kopf und drehte sich zum Raum um.
    »Hast du den hier gesehen?«
    Sie untersuchten den Reflektor, und Anders machte eine Reihe von Bildern von Maja, durch den Reflektor, hinter dem Reflektor, vor dem Reflektor. Das kleine Mädchen und das Kaleidoskop aus Licht, das sich in alle Richtungen brach. Als sie fertig waren, kam Cecilia die Treppe herauf und staunte ebenfalls nicht schlecht.
    Sie picknickten in diesem Lichtraum, während sie auf die Schären hinausblickten, ihre vertrauten Landmarken zu finden versuchten. Maja interessierte sich für die Kritzeleien auf der weißen Wand, aber da manches von dem, was dort stand, Erläuterungen erfordert hätte, die für die Ohren einer Sechsjäh rigen nicht geeignet waren, griff Anders stattdessen nach dem Informationsblatt und begann den anderen daraus vorzulesen.
    Der untere Teil des Leuchtturms war bereits im 16. Jahrhundert als eine Plattform erbaut worden, auf der man Feuer entzündet hatte, die den Schiffen den Weg in die Fahrrinne nach Stockholm wiesen. Später wurde auf diesem Fundament der Turm errichtet, und man montierte einen primitiven Reflektor, der mit einem Ölfeuer und später mit einem Petroleumfeuer beleuchtet wurde.
    Da hatte Maja schon genug gehört und wollte die Treppe hinabgehen. Anders packte ihren Schneeanzug.
    »Moment. Wo willst du hin?«
    »Mir angucken, was ich eben gesagt habe.«
    »Du darfst aber nicht zu weit gehen.«
    »Mach ich nicht.«
    Anders ließ los, und Maja setzte ihren Weg die Treppe hinab fort. Cecilia sah ihr hinterher.
    »Sollten wir nicht …?«
    »Doch. Aber wohin könnte sie schon gehen?«
    Sie nahmen sich zwei Minuten Zeit, um das Informationsblatt zu lesen, und erfuhren, dass man schließlich ein Aga-Aggregat montiert hatte und dass der Leuchtturm 1973 außer Betrieb genommen worden war. Daraufhin hatte ihn die Schärenstiftung übernommen und eine symbolische Hundertwattbirne installiert, die inzwischen mit Solarzellen betrieben wurde.
    Ihre Augen überflogen die Kritzeleien, und sie stellten fest, dass auf diesem Fußboden mindestens einmal zwei Menschen miteinander geschlafen hatten, soweit es sich denn nicht um Hirngespinste oder Wunschdenken des Kritzelers handelte. Anschließend packten sie zusammen und begannen den Abstieg. Cecilia musste wegen ihres Herzklopfens und dem Druck, der auf ihrer Brust lastete, langsam gehen, und Anders wartete auf sie.
    Als sie zur Tür hinauskamen, war von Maja nichts zu sehen. Es war windig geworden, der Schnee zog in dünnen Schleiern durch die Luft und glitzerte im Sonnenlicht. Anders schloss die Augen und atmete tief ein. Es war ein großartiger Ausflug gewesen, aber jetzt wurde es langsam Zeit, nach Hause zu laufen.
    »Maaaja«, rief er. Keine Antwort. Er ging einmal um den Leuchtturm herum und hielt Ausschau nach ihr. Die Leuchtturminsel war nicht mehr als ein Felsen mit einem Umfang von etwa hundert Metern. Maja war nicht zu sehen, und Anders ließ den Blick über das Eis schweifen. Nirgendwo war eine kleine rote Gestalt zu entdecken.
    »Maaaja!«
    Diesmal rief er etwas lauter, und sein Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. Albern, natürlich. Wie sollte sie hier verloren gehen. Er spürte Cecilias Hand auf seiner Schulter. Sie zeigte auf den Schnee hinunter.
    »Hier sind keine Spuren.«
    Auch in ihrer Stimme hörte man einen Anflug von Sorge. Anders nickte. Natürlich. Man brauchte ja nur Majas Spuren zu folgen.
    Sie gingen dorthin zurück, wo sie begonnen hatten, bei der Leuchtturmtür. Anders steckte den Kopf hinein und rief die Treppe hinauf, falls Maja zurückgekommen war, ohne dass sie es gehört hatten. Keine Antwort.
    Um die Tür herum war alles voller Fußspuren, aber es führten weder Spuren nach rechts noch nach links. Anders machte ein paar Schritte den Felsen hinunter. Er konnte ihre eigenen Spuren sehen, die vom Eis zum Leuchtturm führten, genau wie Spuren von Majas Füßen, die in die andere Richtung gingen.
    Er suchte die Eisfläche ab. Keine Maja. Er blinzelte, rieb sich die Augen. Sie konnte unmöglich so weit gegangen sein, dass er sie nicht mehr sehen konnte. Die Silhouette Domarös verschmolz mit der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher