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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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hatte er bei den Leuten angeklopft und war mit langem Warten belohnt worden. Wenn ihm dann irgendwann jemand geöffnet hatte, war dies stets mit einem Blick geschehen, der sagte: Was stehst du denn hier herum und spielst dich auf? Nun komm schon rein.
    Stiefel wurden ausgezogen, jemand räusperte sich im Flur, und Elof Lundberg betrat mit seiner unvermeidlichen Schirmmütze auf dem Kopf den Raum und nickte Simon zu.
    »Guten Tag, Patron.«
    »Guten Tag.«
    Elof leckte sich über die Lippen, die durch die Kälte trocken waren, und schaute sich im Zimmer um. Was er sah, schien ihm keinen Grund zu Kommentaren zu liefern, also sagte er: »Ja ja. Gibt’s was Neues?«
    Simon schüttelte den Kopf. »Nee. Immer der gleiche Trott.«
    Manchmal fand er Vergnügen daran, aber an diesem Tag war er nicht in der rechten Stimmung, um mit Elof Phrasen zu dreschen, bis man endlich zum Wesentlichen kam, weshalb er ge gen die geltenden Konventionen verstieß und fragte: »Es geht um den Eisbohrer, stimmt’s?«
    Elofs Augen wurden schmal, als hätte Simon da etwas völlig Unerwartetes zur Sprache gebracht, über das man durchaus einmal nachdenken konnte, aber nachdem er zwei Sekunden überlegt hatte, sagte er: »Stimmt. Der Bohrer. Ich dachte, ich könnte ihn mir vielleicht nehmen und …«, er nickte zur Eisfläche hinaus, »… mein Glück versuchen.«
    »Unter der Treppe, wie immer.«
    Im letzten Eiswinter, drei Jahre zuvor, war Elof zweimal in der Woche vorbeigekommen, um sich Simons Eisbohrer auszuleihen. Simon hatte Elof gesagt, wenn er ihn brauche, solle er sich den Bohrer doch einfach nehmen und ihn später wieder zurücklegen. Elof hatte daraufhin zustimmend gebrummt, war aber weiterhin jedes Mal vorher hereingekommen, um zu fragen.
    Die Angelegenheit schien für dieses Mal geklärt, aber Elof machte keine Anstalten zu gehen. Vielleicht wollte er sich ein wenig aufwärmen, ehe es wieder in die Kälte hinausging. Er nickte zu dem Fernglas in Simons Hand.
    »Was hast du im Visier?«
    Simon zeigte auf den Leuchtturm. »Meine Familie ist draußen auf dem Eis, ich … behalt sie ein bisschen im Auge.«
    Elof sah zum Fenster hinaus, konnte naturgemäß jedoch nichts entdecken. »Wo siehst du sie denn?«
    »Draußen am Leuchtturm.«
    »Sie sind draußen am Leuchtturm?«
    »Ja.«
    Elof starrte weiter zum Fenster hinaus, und seine Kiefer bewegten sich, als kaute er auf etwas Unsichtbarem herum. Simon wollte der Sache ein Ende machen, bevor Elof der Kaffeeduft in die Nase stieg und er sich selbst zu einer Tasse einlud. Er wollte seine Ruhe haben. Elof sog die Lippen ein und fragte plötzlich: »Hat er so ein … Handy, der Anders?«
    »Ja, wieso?«
    Elof atmete schwer, während er zum Fenster hinaussah und nach etwas Ausschau hielt, das nicht zu sehen war. Simon begriff nicht, worauf er hinauswollte, also fragte er noch einmal.
    »Warum willst du wissen, ob er ein Handy hat?«
    Es blieb einige Sekunden still. Simon hörte es brodeln, als das letzte Wasser durch die Kaffeemaschine lief. Elof wandte sich vom Fenster ab und sah zu Boden, als er sagte: »Ich glaube, du solltest ihn anrufen und ihm sagen, dass … er sich jetzt besser auf den Heimweg machen sollte.«
    »Und warum?«
    Wieder wurde es still, und Simon nahm den Kaffeegeruch wahr, der aus der Küche hereinzog. Elof schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. Er seufzte und sagte: »Das Eis ist da draußen manchmal nicht sicher.«
    Simon schnaubte. »Es liegt doch ein halber Meter auf der ganzen Förde!«
    Elof seufzte noch schwerer und studierte das Muster des Teppichs. Dann tat er etwas Unerwartetes. Er hob den Kopf, sah Simon in die Augen und sagte: »Tu jetzt, was ich dir sage. Ruf den Jungen an. Sag ihm, er soll seine Familie mitnehmen. Und nach Hause gehen.«
    Simon sah in Elofs wässrig blaue Augen. Sie waren sehr ernst. Simon begriff nicht, worum es hier ging, aber einen solchen Ernst und Nachdruck hatte er bei Elof nie zuvor erlebt. Es geschah etwas zwischen ihnen, etwas, das er nicht in Worte fassen konnte, ihn aber veranlasste, zum Telefon zu gehen und Anders’ Handynummer zu wählen.
    »Hallo, hier spricht Anders. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piepton.«
    Simon legte den Hörer auf.
    »Er geht nicht dran. Wahrscheinlich hat er es ausgeschaltet. Worum geht es hier eigentlich?«
    Elof blickte von Neuem auf die Eisfläche hinaus. Dann kniff er den Mund zusammen und nickte, als hätte er sich für etwas entschieden. »Es wird wohl gut gehen.« Er
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