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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945
Autoren: Leni Riefenstahl
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Kuß gab, soll ich sie gefragt haben, ob ich davon ein Kind bekommen würde. Ich war tatsächlich lange nicht so reif wie meine Freundinnen. Einmal zeigte mir Alice ihren Busen. Ich genierte mich, denn ich hatte noch keinen. Um mehr davon vorzutäuschen, steckte ich mir Strümpfe in die Bluse. Alice war mit fünfzehn schon verlobt, mit neunzehn bereits verheiratet, ich dagegen war mit einundzwanzig Jahren noch unentwickelt und sah um Jahre jünger aus.
      Trotz der dummen Streiche, die ich mit meinen Schulkameradinnen machte, wurde ich mir der ernsten Seite meiner Natur mehr und mehr bewußt. Ich schloß mich oft in mein Zimmer ein, um ungestört nachdenken zu können. Noch während der Schulzeit beschäftigte ich mich intensiv mit einer Sache, ganz untypisch für Mädchen. Ich fing an Flugzeuge zu zeichnen, die eine größere Anzahl von Leuten befördern konnten. Eine zivile Luftfahrt gab es noch nicht.
      Wir befanden uns im letzten Kriegsjahr. Flugzeuge wurden nur an der Front eingesetzt. Viele wurden abgeschossen und verbrannten mit ihren Piloten.
      Wieviel besser wäre es, dachte ich, wenn Flugzeuge die Menschen friedlich von Stadt zu Stadt bringen würden. Ich arbeitete einen exakten zivilen Luftfahrtplan aus, der die wichtigsten deutschen Städte miteinander verband, und veranschlagte auch die Kosten für die Herstellung der Maschinen, den Bau von Flugplätzen und den nötigen Benzinverbrauch, um die Preise für die Flugkarten zu errechnen. Diese Arbeit faszinierte mich. Damals bemerkte ich schon die in mir schlummernden organisatorischen Fähigkeiten.
      Wenn mein Vater mich bei dieser Beschäftigung ertappte, sagte er, wie so oft: «Schade, daß du nicht ein Junge geworden bist, und dein Bruder ein Mädchen.»
      Mein Vater hatte nicht unrecht. Heinz war in seiner Veranlagung fast das Gegenteil von mir. Ich war aktiv, er zurückhaltend, ich lebhaft, mein Bruder eher still. Trotzdem hatten wir etwas gemeinsam, das Interesse für Kunst und schöne Dinge, zum Kummer unseres Vaters, der sich seinen Sohn als Partner und Nachfolger seiner Firma wünschte. Aber mein Bruder wollte Architekt werden, wofür er
auch begabt war, besonders für Innenarchitektur, das war sein Hobby.
      Aber er konnte seinen Willen nicht durchsetzen. Heinz mußte sein Studium als Ingenieur machen und anschließend in der Firma meines Vaters arbeiten. Trotz seiner Strenge liebte er uns, ebenso wie die Mutter, abgöttisch.
      Obgleich ich oft die Schule schwänzte, habe ich noch im «Kollmorgen‘schen Lyzeum» ein gutes Abschlußzeugnis erhalten. Nicht in allen Fächern eine eins, aber in Mathematik und Algebra, auch in Turnen und Malen war ich die Beste, in Geschichte und Gesang dagegen die Schlechteste. Mein Vater war zufrieden.
      Gleich nach Schulabschluß, ich war noch nicht sechzehn, wurde ich Ostern 1918 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche eingesegnet. Ich erinnere mich noch an den Namen des Pfarrers, er hieß NithakStahn. Er sah sehr gut aus, wir Mädchen schwärmten für ihn. Meine Mutter hatte mir ein wunderbares Kleid aus schwarzem Tüll genäht, mit vielen Rüschen, in Seidenbänder eingefaßt. Alice behauptete später, ich hätte wie eine «femme fatale» ausgesehen.

    Die Grimm-Reiter-Schule

    I ch war sechzehn, als eine schicksalhafte Wende eintrat. Sie kündigte sich an in Form eines kleinen Inserats, das ich in der «B. Z. am Mittag» las. So etwa lautete der Text:
      «Zwanzig junge Mädchen werden für den Film ‹Opium› gesucht. Anmeldungen in der Tanzschule Grimm-Reiter, Berlin-W, Budapester Straße 6.»
      Ich ging hin, eigentlich nur aus Neugierde. Im Ernst dachte ich nicht daran, zur Bühne zu gehen. Sollte ich tatsächlich ausgewählt werden, so fände sich leicht ein Grund abzusagen. Als ich mich in der Tanzschule einfand, stand ich in einer Halle, in der sich schon ein Schwarm junger Mädchen drängte. Der Reihe nach mußten wir an einen Tisch treten, an dem Frau Grimm saß. Sie musterte jedes Mädchen mit einem kurzen Blick und notierte sich Namen und Adresse. Ich beobachtete, daß sie ab und zu hinter einem Namen ein Kreuz machte, und stellte mit Genugtuung fest, daß auch ich ein solches Kreuz bekam. Uns wurde gesagt, wir würden Bescheid bekommen. Enttäuscht, denn ich hatte geglaubt, eine Entscheidung würde an Ort und Stelle schon getroffen, wollte ich gerade wieder gehen, als ich an einer Tür stehenblieb: Durch einen Spalt hatte ich einige junge Tänzerinnen erblickt. Ich hörte
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