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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945
Autoren: Leni Riefenstahl
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für mich der Inbegriff des Schrecklichen, und übertriebene Nationalgefühle konnten schuld daran sein, daß es überhaupt Krieg gab. Für mich hatten Menschen, ob schwarz, weiß oder rot, den gleichen Wert, und von Rassentheorien hatte ich noch nie etwas gehört. Dafür interessierte ich mich immer mehr für den Kosmos, für die Geheimnisse des Himmelsraumes und der Planeten. Die Sterne, insbesondere der Mond, übten noch immer auf mich eine unwiderstehliche, magische Anziehungskraft aus.

    Nach der Schulzeit

    M it sechzehn verließ ich die Schule. Eine Entscheidung für meine Zukunft mußte gefällt werden. Es war der unumstößliche Entschluß meines Vater, mir endgültig die Flausen, Schauspielerin zu werden, auszutreiben. Ich sollte eine Haushaltsschule, das sehr angesehene Lettehaus in Berlin, besuchen und anschließend ein Pensionat. Alle meine Vorstöße, mich als Schauspielerin ausbilden zu lassen, scheiterten. Sie riefen bei meinem Vater solche Zornausbrüche hervor, daß ich meiner Mutter zuliebe vorläufig mein Drängen aufgab und nur mit allen Mitteln versuchte, meine Verbannung in ein Pensionat zu verhindern. Dorthin zu gehen, war mir ein unerträglicher Gedanke.
      Ich wollte nicht von Berlin fort, denn ich liebte meine Geburtsstadt über alles - den Tiergarten und den Zoo, die Theater, die wunderbaren Konzerte, die festlichen Kinopremieren, den Kurfürstendamm und die Prachtstraße Unter den Linden. Dann die tollen Caféhäuser, das «Romanische Café» gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, der Treffpunkt meiner heimlichen Rendezvous, oder das «Café des Westens». Nicht zu vergessen «Aschinger», wo man so schnell an runden Holztischen für billiges Geld im Stehen warme Würstchen oder Erbsensuppe verzehren konnte. Berlin war eine aufregende Stadt. Schon einige Male war ich im «Romanischen Café» und bei «Schwanecke» in der Rankestraße von Filmregisseuren angesprochen worden, die mich aufforderten, Probeaufnahmen machen zu lassen oder in ihren Filmen mitzuwirken. Aber ich widerstand immer solchen Versuchungen, weil sich solche Pläne ja doch nie erfüllen ließen. Als ein Regisseur einmal einfach nicht locker ließ und mich täglich verfolgte und desgleichen seine Frau, ließ ich mich schließlich überreden. Hinter dem Rücken meines Vaters, mit Hilfe meiner Mutter, habe ich einige Tage gefilmt.
      In einem kleinen Zimmer-Atelier in der Belle-Alliance-Straße spielte ich die Rolle eines jungen Köhlermädchens. An den Namen dieses Regisseurs kann ich mich nicht mehr erinnern, ich weiß nur noch, daß er mir eine große Zukunft prophezeite. An den Aufnahmen selbst, also an meinem eigentlichen Film-Debüt, habe ich nicht viel Freude gehabt. Die Angst, mein Vater könnte davon erfahren, peinigte mich zu sehr. Deshalb hatte der Regisseur mich durch Frisur und Maske so verändern müssen, daß ich mich dann im Kino selbst nicht wiedererkennen konnte.
      In dieser Zeit hatte ich ein lustiges Erlebnis. Ein junger Mann, der sich Paul Lasker-Schüler nannte, sprach mich auf der Straße an. Er war der Sohn der berühmten Dichterin, die mir damals noch unbekannt war. Er sah gut aus und war achtzehn. Wir trafen uns einige Male heimlich, und da er viel mehr wußte als ich, machte es mir Spaß, mich mit ihm zu unterhalten. Ich konnte viel von ihm lernen. Eines Tages sagte er zu mir ohne jeden Zusammenhang: «Weißt du eigentlich, daß du einen sehr sinnlichen Mund hast?»
      Ich, völlig ahnungslos, sagte: «Quatsch, ich habe keinen sinnlichen Mund.»
      Er: «Wetten? Ich wette mit dir, daß ich es dir innerhalb der nächsten vier Wochen beweisen werde.»
      «Gut, wetten wir», antwortete ich, «um was wetten wir?»
      «Daß du mich küssen wirst.»
      «Und wenn du verlierst?»
      «Dann werde ich dir etwas Hübsches schenken», war seine Antwort.
      Wir sahen uns längere Zeit nicht. Dann traf ich ihn eines Tages wieder. Er bat mich, ich sollte mir seine Zeichnungen ansehen, und, ohne an die Wette zu denken, willigte ich sofort ein.
      In der Rankestraße hatte er ein möbliertes Zimmer. Kaum hatte ich es betreten, umfaßte er mich und versuchte, mich zu küssen. Über diesen unerwarteten Überfall war ich so wütend, daß ich mich von ihm losriß und ihn an die Wand stieß, wobei ich aber furchtbar lachen mußte. Dieses Lachen muß ihn in seinem männlichen Stolz so beleidigt haben, daß er mich mit fast brutaler Gewalt aus dem Zimmer warf. Ich habe meinen
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