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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945
Autoren: Leni Riefenstahl
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kannte ich den Stammbaum auswendig und keineswegs nur von denen der Herren von Weinberg, sondern ebenso von den anderen großen Gestüten wie Oppenheim, Haniel, Weil usw. Ich hatte mir von allen maßgeblichen Gestüten die Unterlagen schicken lassen und dann dieses Material statistisch verarbeitet. Es war fast eine Doktorarbeit. Ich besitze es noch heute, das dicke Heft mit dem schwarzen KalikoDeckel, in das ich jahrelang Abstammung und Erfolge der Pferde eingetragen hatte. Eine der wenigen Reliquien aus der Jugendzeit, die mir verblieben sind.
      Rastenberger war beeindruckt, daß ich auch die Eltern und Großeltern der Pferde, die er ritt, aufzählen konnte. Der Berliner würde sagen: «Dem blieb die Spucke weg.» Er schlug mir ein Rendezvous vor, und ich nahm es mit Herzklopfen an. Da ich jeden Abend mit meinem Vater nach Hause fahren mußte, kam nur ein Nachmittag in Frage.
      Treffpunkt war ein Lokal in der Friedrichstraße. Vor der Tür wurde ich schon von Rastenberger erwartet. Mein erstes Rendezvous, und ich war jetzt siebzehn. Wir gingen eine schmale Treppe hinauf, und ein wenig später befand ich mich in einem Séparée. Das hatte ich nicht erwartet, ich wurde unruhig. In dem kleinen Raum war alles rot, die Wände waren mit rotem Samt bezogen, das Sofa rot und sogar die Tischdecke. Ich ahnte, was das für ein Raum war und auf was ich mich eingelassen hatte. Rastenberger hatte eine Flasche Champagner bestellt, und schon beim Anstoßen der Gläser versuchte er, mich zu umfassen.
      Vorsichtig befreite ich mich und zerbrach mir den Kopf, wie ich auf Otto Schmidt kommen könnte, denn nur seinetwegen hatte ich mich auf diese Sache eingelassen. Ich steuerte direkt mein Ziel an und sagte zu Rastenberger: «Wissen Sie, daß ich eine unbekannte Cousine von Otto Schmidt bin? Es würde sicher eine große Überraschung für ihn sein, wenn Sie mich zu ihm führen würden.»
      Aber Rastenberger war daran überhaupt nicht interessiert. Immer handgreiflicher, versuchte er mich zu küssen. Ich konnte mich losreißen und lief die Treppe hinunter, er mir nach. Als ich ins Freie trat, regnete es in Strömen. Da bekam ich ein paar Schläge auf den Kopf, eine Frau schlug auf mich ein - Frau Rastenberger.
      Das gleiche erlebte ich einige Jahre später noch einmal. Ich saß auf der Zuschauertribüne im Tennisclub «Rot-Weiß». Eine Reihe über
mir die damals sehr berühmte Filmschauspielerin Pola Negri: Wir waren uns noch nie begegnet, beide waren wir nur eines Mannes wegen zu diesem Turnier gekommen. Es war Otto Froitzheim, seit Jahren Deutschlands bester Tennisspieler. Ich war mit ihm befreundet, erst später wurde ich seine Verlobte, Pola Negri war damals seine Geliebte. Als Froitzheim während seines Spiels öfter zu mir hinaufblickte, versetzte Pola Negri mir mit ihrem Sonnenschirm einen Schlag. Dann verließ sie schnell die Tribüne.

    Erstes öffentliches Auftreten

    N ur zweimal in der Woche konnte ich meine Tanzstunden vor meinem Vater verbergen. Jeden Dienstag und Freitag von 4-5 Uhr fuhr ich mit meinen Rollschuhen zur Budapester Straße. Die Yorkstraße war asphaltiert, so daß ich bis vor die Haustüre laufen konnte. Dies alles ging eine Zeitlang gut, bis es zu dem auf die Dauer unvermeidlichen, furchtbaren Krach kam. Frau Grimm-Reiter hatte den Blüthner-Saal für einen Schüler-Tanzabend gemietet. Das geschah einmal in jedem Jahr. Diesmal freute sie sich besonders, weil sie einen «Star» zur Verfügung hatte - Anita Berber. Sie war eigentlich keine Schülerin mehr, aber mit Frau Grimm-Reiter studierte sie ihre Tänze in dieser Schule ein. Anita Berber, ein faszinierendes Wesen mit einem knabenhaften Körper, war durch ihre Nackttänze auf kleinen Bühnen und in Nachtclubs schon sehr bekannt. Ihr Körper war so vollkommen, daß ihre Nacktheit nie obszön wirkte.
      Ich hatte sie oft beim Einstudieren beobachtet und kannte jeden Schritt, jede Bewegung. Wenn ich allein war, versuchte ich, ihre Tänze nachzuahmen. Dies erwies sich bald als mein großes Glück. Anita Berber war das Zugpferd des Tanzprogramms der Schule. Drei Tage vor der Veranstaltung erfuhren wir, daß sie an einer schweren Grippe erkrankt sei und daß darum der Tanzabend voraussichtlich nicht stattfinden könne. Wir waren alle sehr niedergeschlagen. Da kam mir der Gedanke, ich könnte vielleicht für Anita Berber einspringen. Ungläubig sah mich Frau Grimm-Reiter an. Nach intensivem Bitten erlaubte sie, daß ich ihr die beiden Tänze
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