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Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Titel: Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
Autoren: Kai Meyer
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Zauberpferd
 
 
    Das fliegende Pferd aus Elfenbein suchte nach ihm am Himmel, es suchte in der Wüste. Nirgends eine Spur. Nirgendwo ein Zeichen, dass der Ifrit noch lebte.
    Er war fort, seine Aura wie ausgelöscht.
    Das Elfenbeinpferd galoppierte auf den Winden nach Westen, mit sanftem Schlag seiner Schwingen, hoch über den glutheißen Dünen und Sandseen.
    Aus dem Staubdunst über der Wüste tauchten die Kuppeln und Zwiebeltürme Bagdads auf, weit entfernt, aber überdeutlich für seinen geschärften Blick. Die Augen des Zauberpferdes waren von Magierhand erschaffen worden, und obgleich es alt war, uralt, kannte es keine Krankheit, keinen Verschleiß seines künstlichen Körpers. Die mechanischen Teile in seinem Innern klickten und surrten. Winzige Zahnräder, die geschmeidig ineinandergriffen. Ketten und Riemen wie Muskelstränge. Und die unsichtbare Macht der Magie, die all das erweckt hatte und es auch heute noch, nach so vielen Jahren, am Leben erhielt.
    Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als das Pferd Bagdad erreichte. Die Stadt der Kalifen lag wie eine weiße Perle auf einem Kissen aus Sand. Die kreisrunde Stadtmauer, von hundert Türmen gekrönt, umschloss ein dicht gedrängtes Nest aus Gassen und Plätzen, staubigen Kuppeln und Lehmdächern. Die Straßen waren voller Menschen, aber vom Himmel aus schien es, als würden nicht Männer und Frauen, sondern die Sandkörner der arabischen Wüste kreuz und quer durch die Gassen getrieben.
    Schwärme von fliegenden Teppichen kreuzten über den Dächern, doch das Elfenbeinpferd vermochte viel höher aufzusteigen als sie; falls die Reiter es entdeckten, würden sie es nicht erreichen können.
    Gestern war der Ifrit – der Wunschdschinn – von ihrem gemeinsamen Lagerplatz in den Bergen verschwunden, und seither suchte das Zauberpferd nach ihm. Die ganze Nacht hindurch hatte es Ausschau nach seiner Spur gehalten. Die Nüstern aus Elfenbein witterten Menschen, Tiere und Dschinne, während rätselhaftere Sinnesorgane die vielen Auren entwirrten, immer in der Hoffnung, die seine unter ihnen zu entdecken.
    Nichts. Nur immer wieder die Fährte des Ifritjägers auf den Winden aus dem Osten. Sie unterschied sich von all jenen, die Bagdads Teppichreiter über der Wüste hinterlassen hatten. Das Pferd hatte sie schon früher gewittert, während seines letzten Erkundungsfluges über den Zagrosbergen. Und – ganz deutlich – am leeren Lagerplatz, kurz nachdem der Wunschdschinn verschwunden war.
    Aber warum hatte der Jäger ihn gefangen? Der Ifrit nutzte niemandem mehr. Er war geschwächt, seine Wunschmacht verblichen. Das Elfenbeinpferd war ihm begegnet, nachdem er dem Untergang der Hängenden Städte entronnen war, weit im Osten in den Bergen des Kopet-Dagh. Fortan hatten sie ihren Weg nach Westen als Freunde fortgesetzt. Schweigsame, absonderliche Weggefährten, selbst in diesem Land der Wunder und Nachtmahre.
    Bagdad lag am linken Ufer eines Flusses, der glitzernd die persische Wüste durchschnitt. Rundum erstreckten sich weite Zeltlager, in denen die Heerscharen des Kalifats die Verteidigung gegen die Horden der Dschinnfürsten vorbereiteten.
    Die Fährte des Ifritjägers führte mitten ins Labyrinth der Kalifenstadt. Der Mann hatte versucht, seine unsichtbare Spur am Himmel zu verschleiern. Seine Vorkehrungen waren sorgfältig gewesen, gewiss, doch obschon er mächtig war, viel mächtiger als andere seiner Art, schienen auch seine Kräfte Grenzen zu kennen.
    Der Galopp auf den Winden trug das Elfenbeinross immer höher hinauf, bis die Luft zu dünn war zum Atmen und die Hitze nur eine Erinnerung. Das Zauberpferd benötigte keinen Atem und spürte keine Kälte, doch wenn es dem Ifrit zu Hilfe eilen wollte, seinem großen, unbeholfenen, nicht sehr klugen Freund, dann würde es die Sicherheit der hohen Sphären bald aufgeben müssen.
    In seinem Schädel rasselten die Rädchen, tickten und klackten die geheimnisvollen Mechanismen, denen es Vernunft und Scharfsinn verdankte. Magie hatte es einst zum Leben erweckt. Aber es war auch Magie – wilde, unkontrollierte, in Raserei verfallene Magie –, die seit Jahrzehnten die Welt verheerte.
    Seine Gedankenrädchen rotierten vor und zurück, wogen die Vergangenheit gegen die Zukunft ab. Seine Hufe galoppierten auf eisigen Strömen, seine Schwingen durchschnitten das Nichts.
    Ich bin Magie.
    Ich bin Teil dessen, das alles beenden wird.
    Da überkamen es Verzweiflung und Trauer, und es sank langsam zurück in die Tiefe,
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