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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945
Autoren: Leni Riefenstahl
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übersiedelten nach Polen, weil mein Großvater dort eine gute Anstellung als Baumeister erhielt. Als seine erste Frau nach dem achtzehnten Kind, das meine Mutter war, starb, heiratete er die Erzieherin der Kinder, von der er noch drei weitere bekam. Als Polen von Rußland annektiert wurde, wollte er die russische Staatsangehörigkeit nicht annehmen und ging nach Berlin. Die Familie mußte sehr sparen, da mein Großvater zu alt war, um noch Arbeit zu bekommen. Er wirkte jedoch noch sehr rüstig und sah blendend aus. Ich liebte ihn, weil er immer freundlich war und auch gern mit mir spielte, aber das jüngste seiner 21 Kinder, meine Tante Toni, verzieh ihm die große Kinderschar nicht. Meine Mutter, die eine gute Näherin war, unterstützte ihre Eltern, indem sie Blusen nähte, die sie verkaufte. Ich erinnere mich auch an eine andere Arbeit und sehe uns an einem langen, großen Tisch sitzen und Zigarettenhülsen kleben.
      Von den älteren Geschwistern meiner Mutter blieben einige in Rußland und heirateten dort. Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört. Vermutlich sind sie während der russischen Revolution umgekommen.
      Die Eltern meines Vaters und ihre Vorfahren stammten aus der Mark Brandenburg. Mein Großvater war Schlossermeister. Er hatte drei Söhne und eine Tochter. Meine beiden Großmütter waren sanfte und stille Frauen, die für die Familie sorgten. So lebte ich als Kind in einer durch und durch bürgerlichen Welt, in der ich mich nicht besonders wohl fühlte.
      Zu den bürgerlichen Verpflichtungen jener Zeit gehörte es auch, daß junge Mädchen aus gutem Hause Klavierspielen erlernen mußten. Zweimal in der Woche brachte mich mein Vater zur Klavierstunde in die Genthiner-Straße und das fünf Jahre lang. Es war immer dieselbe Lehrerin. Ich muß gestehen, ich hatte keine Freude an diesen Stunden, für die ich auch nur ungern geübt hatte, obgleich ich Musik so liebte, daß ich später als Tänzerin kaum ein gutes Konzert ausließ. Mit dem Klavierspielen ging es mir ähnlich wie mit der Malerei - für beides war ich begabt, so daß ich sogar für ein Schülerkonzert in der Philharmonie ausgewählt wurde, in dem ich mit großem Erfolg eine Sonate von Beethoven spielte. Aber die Leidenschaft fehlte, die ich für den Tanz so stark empfand.
      Wenn ich an die großartigen Konzerte in der Berliner Philharmonie zurückdenke, bleibt mir Ferruccio Busoni, der geniale Pianist und Komponist, unvergeßlich. Ich hatte das Glück, ihn, während meiner Ausbildungszeit als Tänzerin, persönlich kennenzulernen. In einem Salon der Familie von Baumbach versammelte sich einmal wöchentlich ein Kreis von Künstlern, zu dem auch Busoni gehörte. Als er einmal etwas sehr Rhythmisches spielte, fing ich plötzlich zu tanzen an. Nachdem sein Spiel beendet war und die Anwesenden aufmunternd klatschten, kam er auf mich zu, strich mir übers Haar und sagte: «Mädchen, Sie sind begabt. Sie werden einmal eine große Tänzerin, ich werde etwas für Sie komponieren.» Schon nach wenigen Tagen erhielt ich von ihm ein Kuvert mit Noten darin. Auf einem beiliegenden Zettel stand: «Für die Tänzerin Leni Riefenstahl - Busoni.»
      Der «Valse caprice», den er damals für mich komponierte, zählte später zu meinen großen Erfolgen.

    Jugenderlebnissse

    B is zu meinem 21. Lebensjahr - solange mußte ich bei meinen Eltern wohnen - durfte ich mit keinem jungen Mann ausgehen. Auch ein Kinobesuch ohne elterliche Begleitung war mir nicht erlaubt. Der Unterschied zum Leben der heutigen Jugend ist unvorstellbar. An den Pfingstfeiertagen putzte meine Mutter mich immer mit einem besonders hübschen Kleid heraus, das sie selbst genäht hatte, mein Vater jedoch war stets leicht gereizt. Wenn sich dann manchmal Männer nach mir umdrehten, versetzte ihn das in Wut. Er bekam einen roten Kopf und fuhr mich an: «Schau runter, guck die Männer nicht so an!»
      Sein Vorwurf war ungerechtfertigt. Ich dachte gar nicht daran, mit Männern zu flirten.
      «Reg dich nicht auf, Papa», sagte meine Mutter besänftigend, «die Leni schaut doch gar nicht auf die Männer!»
      Meine Mutter hatte ebenso recht wie unrecht. Seit meinem 14. Lebensjahr war ich immer in irgend jemanden verliebt, auch wenn ich meine Idole nie kennenlernte. Zwei Jahre lang himmelte ich einen jungen Mann an, den ich nur einmal zufällig auf der Tauentzienstraße gesehen, aber nie gesprochen hatte. Nach jedem Schultag ging ich die Tauentzienstraße rauf und runter,
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