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Blut der Wölfin

Blut der Wölfin

Titel: Blut der Wölfin
Autoren: Kelley Armstrong
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Wandlungen
    U naufdringlich« gehört nicht zu Claytons besten Rollen. Nicht mal, wenn er es probiert, und an diesem Nachmittag probierte er es aus Leibeskräften. Er hielt sich windabwärts von mir und in mindestens sechzig Meter Entfernung, ich konnte ihn also weder riechen noch sehen oder hören. Aber ich wusste, dass er da war.
    Als ich da unter den Eichen stand, konnte ich mir einen Anflug von Gereiztheit nicht verkneifen über den zusätzlichen Druck, den seine Gegenwart auf mich ausübte – ich war ohnehin schon in einer Situation, in der sich mir die Eingeweide verkrampften. Ja, ich war es, die den Auslauf vorgeschlagen hatte, die vom Esstisch aufgesprungen war und sich bereit erklärt hatte. Er hatte gefragt, ob er währenddessen im Haus bleiben sollte – möglicherweise das erste Mal in unserer fünfzehnjährigen Beziehung, dass Clay willens gewesen war, mir so viel Freiraum zu lassen. Aber ich hatte seine Hand gepackt und ihn mit ins Freie gezerrt. Jetzt gab ich ihm die Schuld dafür, dass er ebenfalls da war. Nicht fair. Aber immer noch besser, als zuzugeben, dass ich weniger Groll auf ihn verspürte als Furcht – Furcht davor, zu versagen und ihn zu enttäuschen.
    Ich holte tief Atem und füllte meine Lungen mit der lehmigen Üppigkeit eines Waldes, der eben aus den Wintermonaten emportauchte; die ersten Knospen erschienen zaghaft, als seien sie sich ihrer Sache noch nicht ganz sicher. Nicht ganz sicher … guter Ausdruck. Das war es, was ich empfand: Unsicherheit.
    Unsicherheit? Versuch’s mal mit panischer Angst, die Sorte, bei der ich mir fast in die Hosen mache und die mir Magenkrämpfe verursacht.
    Ich holte wieder tief Atem. Der Geruch des Waldes erfüllte mich, rief mich, wie Clays Gegenwart irgendwo dort draußen, lockte …
    Denk nicht an ihn. Entspann dich einfach.
    Ich folgte dem Geräusch eines klopfenden Kaninchens; ich konnte es hören, weil der Wind in meine Richtung blies, doch das Kaninchen war vollkommen ahnungslos. Im Gehen fiel mein Blick auf meinen Schatten, und ich stellte fest, dass ich immer noch auf zwei Beinen war. Gut, das war das erste Problem. Ich hatte mich ausgezogen, aber wie sollte ich mich wandeln, solange ich auf zwei Beinen stand?
    Als ich in die Hocke ging, schoss ein kurzer stechender Schmerz auf der linken Seite durch meinen Unterleib, und ich erstarrte mit hämmerndem Herzen. Wahrscheinlich war es einfach nur ein Muskelkrampf oder irgendwas mit dem Darm. Und doch …
    Meine Finger rieben über die harte Wölbung meines Bauchs. Ich spürte da ganz entschieden eine Wölbung, so hartnäckig Jeremy auch schwor, es sei nichts da. Ich spürte es unter der Hand, spürte es am enger werdenden Bund meiner Jeans. Clay versuchte der Frage aus dem Weg zu gehen – kluger Mann –, aber wenn man nachfragte, gab er zu, dass man es mir offenbar langsam ansah. Obwohl ich erst seit knapp fünf Wochen schwanger war. Noch etwas, das ich auf die stetig wachsende Liste von Dingen setzen konnte, die mir Angst machten.
    Ganz oben auf der Liste stand, dass mein Körper nach einer regelmäßigen Wandlung zum Wolf verlangte. Ich musste mich wandeln, aber welche Auswirkungen würde das auf mein Baby haben?
    Meine Angst, das Kind zu verlieren, kam für mich einer Offenbarung gleich. In den fast drei Jahren, die ich mich mit dem Gedanken herumgeschlagen hatte, ein Kind zu bekommen, hatte ich die Möglichkeit erwogen, dass die Entscheidung gar nicht bei mir lag, dass meine Werwolfsnatur es mit sich bringen könnte, dass ich kein Kind empfangen oder es nicht austragen konnte. Ich hatte dies akzeptiert. Wenn ich mein Baby verlieren sollte, würde ich wissen, dass ich keine Kinder bekommen konnte. Und damit wäre die Sache entschieden.
    Jetzt, da ich tatsächlich schwanger war, kam es mir unfassbar vor, wie gleichmütig ich gewesen war. Das, was da in mir heranwuchs, war mehr als eine Ansammlung von Zellen, es war ein Traum, der Wirklichkeit wurde, ein Traum, den ich verloren geglaubt hatte, als ich zum Werwolf wurde. Ein Traum, von dem ich sicher gewesen war, ihn aufgegeben zu haben, als ich beschloss, mit Clay zusammenzubleiben.
    Aber ich musste mich wandeln. Ich hatte schon zu lange gewartet, und ich spürte das Bedürfnis in jedem Muskelkrampf und jedem ruhelosen Zucken, hörte es an meinem Knurren und Schnappen, wann immer mich jemand ansprach. Zwei Mal war ich mit Clay hierhergekommen, und beide Male war ich nicht in der Lage gewesen – oder hatte mich geweigert –,
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