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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke
Autoren: Yasar Kemal
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erstreckte sich vom Alidağ bis zur Dikenlidüzü, von dort bis zum Akçadağ und nach Çiçeklideresi, bis hinunter in die Çukurova. Wenn die Sonnenstrahlen auf den Schnee fielen, dann war ein millionenfaches Glitzern in der Luft, das die Augen blendete. Dann und wann glitt ein riesiger Wolkenschatten verdunkelnd über die makellos weiße Fläche.
    Um die drei Menschen in der Höhle stand es schlecht. Sie hatten nichts mehr zu essen und nichts mehr zu brennen. Memed sah erschreckend verwildert aus; Haar und Bart waren ineinander verfilzt. Iraz war nur noch ein düsterer Schatten ihrer selbst. Hatçe war hochschwanger; ihr spitzes Gesicht hatte alle Farbe verloren, das einst so glänzend schwarze Haar war stumpf und struppig geworden.
    Sergeant Asim ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Seit dem Herbst war er ununterbrochen zwischen Değirmenoluk und den Alidağ-Hängen unterwegs.
    Iraz zog Memed vor die Höhle. »Heute hat der Schneesturm ausgesetzt. Wir müssen etwas unternehmen, mein Sohn. Das Mädchen kann jeden Tag niederkommen. Wir müssen uns schlüssig werden, ob wir sie in ein Dorf bringen wollen oder ob wir versuchen, hier damit fertig zu werden.«
    Memed zog sein unter dem Bartgestrüpp zusammengeschrumpftes Gesicht in Falten. »Hinunterbringen kommt nicht in Frage. Sie patrouillieren von Haus zu Haus. Wir müssen das hier erledigen.«
    Hatçe lehnte gegen die Höhlenwand und starrte reglos, mit stumpfen Blicken, vor sich nieder.
    »Iraz und ich gehen ins Dorf hinunter, Hatçe. Lade das Gewehr durch. Bis zur Nacht sind wir zurück.«
    »Allein bleibe ich nicht hier. Laßt mich mitgehen.«
    »Sei nicht töricht, Mädchen. Dann soll Mutter Iraz bei dir bleiben.«
    »Ich bleibe nicht hier!«
    »Was hast du denn? Warum bist du so widerspenstig?«
    »Ach, laßt mich in Ruhe.«
    »Bleibe doch hier, Mädchen«, sagte Iraz beschwörend. »Ich kann nicht. Ich sterbe vor Angst.«
    »Seit wir hier oben sind, ist mit dir nicht mehr zu reden.«
    »Dann laßt mich doch in Frieden!«
    Memed stürmte zornig davon. Schneller noch als sonst machte er sich an den Abstieg. Über dem Gipfel kreiste ein Adler.
    »Was ist denn nur los mit dir, Mädchen?« herrschte Iraz Hatçe an. »Hat der Junge nicht schon genug auf dem Hals? Mußt du ihm auch noch zusetzen?« Hatçe gab keine Antwort.
    Als Iraz später vor die Höhle trat, schrak sie zusammen. Memed hatte das Bündel Schwarzdornreisig, das zum Spurenverwischen diente, zurückgelassen! Sie schrie aus Leibeskräften über die Schneefelder hinweg, aber Memed war längst außer Hörweite. Verzweifelt kehrte sie zurück.
    »Das gibt ein Unglück. Und wir haben keinen Schneesturm, der die Spuren verwischen könnte. Er kommt auch nicht. Die Luft ist so still wie selten.«
    Erst am nächsten Abend kam Memed zurück, bleich von der Anstrengung und unter seiner Traglast fast zusammengebrochen.
    »Diesmal war mir dabei nicht wohl«, sagte er. »Erst unten habe ich gemerkt, daß ich das Reisig liegengelassen hatte. Zum Umkehren war es da zu spät. Aber jetzt habe ich Angst vor Ali dem Hinkenden. Die Gendarmen haben ihn ja nicht mehr in Ruhe gelassen. Und wenn er eine Spur sieht! Nicht umsonst hat er mich immer wieder beschworen: ‚Um Gottes willen, Bruder, zieh Reisig hinter dir her.' Er hatte Furcht vor sich selber. Es steht alles schlecht, und jetzt um diese Zeit ... «
    »Solch eine Schurkerei begeht Ali der Hinkende nicht«, meinte Iraz. »Für dich gibt er sein Leben.«
    »Das weiß ich. Aber wenn er eine Spur sieht, kann er nicht widerstehen. Ich hätte den Hinkenden noch am ersten Tag erschießen sollen.«

33
    Sergeant Asim war schon fast lebensmüde geworden. »Diesen Kerl hat mir der Teufel auf den Hals gehetzt«, stöhnte er. »Wenn er sich doch nur davonmachen und anderswo sein Unwesen treiben würde, damit ich endlich vor ihm Ruhe hätte ... «
Auch die Gendarmen waren entmutigt und am Ende ihrer Kraft. »Im bittersten Winter, jeden Tag, den Allah werden läßt, hoch oben in den Taurusbergen herumklettern! Und wozu das alles?« Wenn ihnen irgendwo eine Spur vor die Augen kam, die der eines Menschen ähnelte, wenn ihnen eine aufgewühlte Stelle im Schnee begegnete, dann spürten sie tagelang hinterher. Immerhin hatten sie auf der Suche nach Ince Memed schon einige andere Banden dingfest gemacht.
Jetzt bewegten sie sich seit einem Monat im Kreise um den Alidağ herum. Einem Hütejungen, den sie gestellt und verprügelt hatten, war in der Angst entfahren, er habe Ince Memed auf
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