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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke
Autoren: Yasar Kemal
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nicht.
Unmittelbar vor dem Sergeanten wurde ein Stein von einem Geschoß zersplittert. Jetzt wurde es auf beiden Seiten Ernst.
Der Kugelwechsel ging weiter hin und her.
»Ich kann hier warten, bis dir die Munition ausgegangen ist!« rief Sergeant Asim. »Meinetwegen eine Woche, einen Monat lang!«
Memed knirschte mit den Zähnen. »Ich weiß, Sergeant, ich weiß. Aber bis dahin ist keiner von euch mehr übrig. Ich knalle euch alle ab. Meine Leiche kannst du aus dieser Höhle herausbringen. Aber warte nicht darauf, daß ich mich ergebe!«
»Ein Jammer um solch einen Burschen wie dich. Wenn du uns wirklich alle abschießen würdest, was hättest du davon? Dann kommen eben andere! Die Amnestie kommt noch dieses Jahr. Sei kein Narr, Ince Memed, ergib dich!«
»Spar dir deine Reden, Sergeant! Diesmal treffe ich dich. Bisher habe ich es nicht gewollt, aber diesmal mache ich Ernst. Du hast mich lange genug gehetzt!«
Die Schießerei wurde nun so heftig, daß nichts mehr zu verstehen war. Neben Memed häuften sich die leeren Patronenhülsen. Er hatte noch zwei Sack Munition, aber er war in Sorge, weil er zu schnell feuern mußte.
Iraz mühte sich um die unablässig schreiende Hatçe. »Daß es an so einem bösen Tag sein muß«, murmelte sie, dann ließ sie die Kreißende einen Augenblick allein, packte ein Gewehr und eilte Memed zu Hilfe. Sie schoß neben ihm, bis Hatçe wieder einen langen Schrei ausstieß. Dann kehrte sie zu der sich schweißüberströmt am Boden Windenden zurück.
»Oh, Mutter«, wimmerte Hatçe, »hättest du mich doch nie geboren ... «
Memed und Iraz waren schwarz vom Pulverdampf Die Höhle war voll von saurem Schweißgeruch.
»Ich bin getroffen!« schrie Memed plötzlich auf. Er schwieg sofort wieder, tief beschämt, und biß sich im Schmerz auf die Lippen.
Bei seinem Aufschrei war Hatçe wie ein Pfeil vom Boden hochgeschnellt. Neben Memed fiel sie nieder. »Bist du tot, mein Memed? Dann will ich nicht mehr leben!«
Iraz streifte Memeds Jacke zurück. »Du bist an der Schulter verwundet.« Sie verband ihn. Memed schoß weiter.
Sergeant Asim begann sich über Memeds unerschöpflichen Munitionsvorrat zu wundern. Schon waren einige seiner Männer getroffen. Allmählich geriet seine Zuversicht ins Wanken.
Hatçe stieß wieder einen langen Schmerzensschrei aus. Ihr Gesicht war verzerrt. Iraz hielt sie fest, richtete sie auf »Durchhalten, mein Mädchen!«
Plötzlich war der Schrei des Neugeborenen zu hören. Memed drehte sich um. Er sah das Kind, noch unkenntlich von Blut, und Hatçes wächsernes Gesicht. Er wandte sich sofort wieder ab. Die Hände zitterten ihm so, daß ihm die Waffe entfiel.
Iraz sprang hinzu, hob die Flinte auf und schoß weiter, während Hatçe wie tot dalag. Memed hatte sich bald wieder in der Gewalt und streckte die Hand nach dem Gewehr aus. Iraz reinigte das Kind und bestreute es mit Salz. »Ein Knabe!« rief sie aus.
Auf Memeds Gesicht erschien ein bitteres Lächeln: Ein Knabe! Der Kampf dauerte bis zum Nachmittag an. Memed konnte nur noch eine Hand gebrauchen, aber er verteidigte sich und die Seinen immer noch mit aller Verbissenheit. Iraz lud immer wieder nach, und er schoß mit einer Hand, das Gewehr auf einen Stein aufgelegt. Dann aber ließ Iraz den Kopf hängen. »Wir haben jetzt nichts mehr«, flüsterte sie erschöpft.
Aus Memeds Kehle drang ein röchelnder Laut wie der letzte Schrei eines Erstickenden. Er sank über seinem Gewehr zusammen. Dann stand er wieder auf, taumelte auf das Kind zu. Lange stand er da, wie vor einem Wunder, und starrte in das fremde kleine Gesicht. Er lächelte, als er zum Eingang der Höhle zurückkehrte. Dann hob er das Gewehr vom Boden auf, zog sein Taschentuch heraus und band es am Lauf fest.
Iraz saß, vor Erschöpfung und Verzweiflung weinend, unter einem Felsvorsprung.
»Tante Iraz!« rief er. Sie hob den Kopf und sah zu ihm auf »Hör zu: Sie werden mich nicht lebend davonkommen lassen. Ich will, daß ihr meinen Sohn Memed nennt.«
Er verließ die Höhle und reckte das Gewehr mit dem Tuch hoch in die Luft. »Sergeant Asim«, schrie er, »ich ergebe mich! Ich ergebe mich!«
Der Sergeant, ein stark gebauter, schnauzbärtiger Mann mit großen Augen und gleichmäßigen Gesichtszügen, glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Willst du dich endlich ergeben, Ince Memed?« rief er hinüber.
»Ja, ja, ich ergebe mich, Sergeant«, antwortete tonlos Memeds Stimme, »du hast es geschafft.«
Asim drehte sich zu seinen Männern um. »Bleibt in Deckung.
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