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Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Julianne Lee
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1. KAPITEL
    »Du forderst einen Angriff ja geradezu heraus, wenn du weiter durch das offene Gelände reitest!«
    »Ich habe keine Lust, endlose Umwege auf mich zu nehmen.« Dylans anfängliche Dankbarkeit verflog und machte einem Anflug von Ärger Platz. Die irische Fee begann ihm schon wieder auf die Nerven zu gehen - wie sie es schon während der gesamten zwei Jahre getan hatte, die er im 18. Jahrhundert gefangen gewesen war.
    Die Niederlage bei Sheriffmuir lag erst einen Tag zurück, aber er wollte die Stätte des gescheiterten Aufstandes nun so schnell wie möglich hinter sich lassen. Dem Rest der geschlagenen, demoralisierten jakobitischen Armee erging es wahrscheinlich nicht anders. Obgleich er ein englisches Kavalleriepferd ritt und obgleich die ganze Gegend von Hannoveranern wimmelte, die nach versprengten Rebellen Ausschau hielten, hatte Dylan nur eines im Sinn: sicher nach Edinburgh zu gelangen und sich auf die Suche nach Cait zu machen. Und nach seinem Sohn. Also überhörte er das Gezeter der Fee und folgte unbeirrt dem Pfad, der sich zwischen den bewaldeten Hügeln hindurchschlängelte. Die Hufe des Pferdes trommelten gleichmäßig auf den Boden.
    »Du kommst nie mit heiler Haut dort an, wenn Georges Männer dich auf diesem Gaul erwischen.« Sinann Eire saß, die dünnen Beine gespreizt, auf der Kruppe des gestohlenen Pferdes und ließ die Füße baumeln. Mit der Zehenspitze spielte sie mit dem gestutzten Schweif, was dem Tier ein unwilliges Schnauben entlockte. Dann lehnte sie sich gegen Dylans Rücken und legte den Kopf an seine Schulter.
    Glitzernder Raureif, der Vorbote des nahenden Winters, bedeckte den Boden, und die beißende Kälte rötete seine Nasenspitze. Dylan schlang sein Plaid enger um sich und wünschte, es wäre ihm gelungen, auch seinen Mantel vor den diebischen englischen Soldaten zu retten. Die blaue Kap-pe war ebenfalls auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben und vermutlich längst in den Schlamm getrampelt oder von einem von König Georges Leuten als Trophäe mitgenommen worden.
    »Mach dir keine Sorgen, Tink. Ich werde das Pferd verkaufen, dann kann es uns nicht mehr verraten.« Den englischen Sattel und die leuchtend rote Satteldecke hatte er bereits in der Nähe von Dunblane in einem Ginstergebüsch versteckt. »Aber ich will damit warten, bis wir in Edinburgh sind. Erstens falle ich dort inmitten so vieler Menschen nicht so auf, und zweitens besteht in dieser Stadt die Möglichkeit, mehr als drei schottische Pence dafür zu bekommen.«
    »O ja, ich bin sicher, dass du in deinem zerlumpten Kilt in der Stadt nicht so auffällst«, spottete die Fee.
    Dylan trieb das Pferd zu einer schnelleren Gangart an, damit Sinann sich darauf konzentrieren musste, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und endlich den Mund hielt. Die Enden des Stofffetzens, mit dem er seinen verletzten Arm notdürftig verbunden hatte, flatterten im Wind.
    Sinann, die hochgeschleudert worden war, schwirrte hinter ihm her, und als Dylan das Tempo wieder verlangsamte, stellte sie sich hinter ihm auf das Pferd, hielt sich an seinen Schultern fest und flüsterte ihm ins Ohr: »Mit deiner Dankbarkeit ist es nicht sehr weit her, findest du nicht, mein Freund? Wer hat dir denn das Leben gerettet und dich in deine eigene Zeit zurückversetzt, als du auf dem Schlachtfeld beinahe gestorben wärst?« Dylan zog sein Plaid höher zum Hals und gab keine Antwort, was sie nicht daran hinderte, weiter auf ihn einzureden. »Und wer hat dich in die Schlacht zurückgeschickt, nachdem die Wunderärzte deiner Zeit dich wieder zusammengeflickt hatten?«
    »Du wirst mich erst später zurückschicken. Im November des Jahres 2000. Vergiss das nicht. Noch hast du es nicht getan.« Mit zwei Fingern betastete er die frische Narbe unterhalb seines Brustkorbs, die zurückgeblieben war, nachdem man ihm eine Niere und die Milz entfernt hatte. Er war durch einen englischen Kavalleriesäbel schwer verwundet worden, und Sinann hatte ihn in sein eigenes Jahrhundert zurückversetzt, wo er dank moderner Chirurgie gerettet werden konnte. Sechs Wochen nach der Operation, als er sich halbwegs wieder hergestellt fühlte, war er dann durch die Zeit zurückgereist und hatte sich kurz vor dem Moment seines drohenden Todes auf dem Schlachtfeld von Sheriffmuir wieder gefunden. Seine Wunden schmerzten immer noch, und jeder Schritt des Pferdes löste in seiner linken Seite ein dumpfes Pochen aus.
    »Wie dem auch sei, ich denke, du solltest trotzdem auf mich hören.
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