Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke
Autoren: Yasar Kemal
Vom Netzwerk:
eisengrauem Grund. Wiehernd und stampfend stand es vor Osmans Haus. Seine Augen glichen glänzenden, traurigen Mädchenaugen. Der Schweif hing bis zu den Hufen hinunter. Die lange Mähne fiel nach rechts.
    Der große Feiertag hatte die erwartete Amnestie gebracht. Fast alle Banditen kamen von den Bergen und lieferten ihre Waffen ab. Im Hof der Polizeistation drängte sich wartend eine kunterbunte Schar verwegener Gesellen.
    Osman der Mächtige streichelte dem Pferd die Mähne. »Dieses Pferd ist meines Falken würdig«, sagte er zufrieden.
    »Das schönste weit und breit«, bekräftigten die anderen. »Es ist Ince Memeds würdig.«
    Der Alte schwang sich geschmeidig in den Sattel. »Spätestens in zwei Tagen bin ich wieder hier. Ruft ihr inzwischen die Trommelschläger aus Endelin her. Sie sollen die großen Doppeltrommeln schlagen. Das wird Vayvays Willkomm für Ince Memed sein. Die anderen Banditen müssen sich zu Fuß nach Hause schleichen, unser Ince Memed kommt auf einem arabischen Renner!« Dann galoppierte er auf die blauen, sich ins Purpurne verfärbenden Taurusberge zu.
    Cabbar war zu Memed gekommen, um ihm die Freudenbotschaft von der großen Amnestie zu bringen. Die beiden Freunde hatten sich lange in den Armen gelegen und dann schweigend Seite an Seite gesessen.
    »Ich gehe jetzt und stelle mich«, sagte Cabbar schließlich. Memed blieb stumm.
    An einem Mittag kehrte er nach Değirmenoluk zurück. Sein Gesicht war dunkel, die Augen lagen tief in den Höhlen. Tiefe Falten waren in seine Stirn eingegraben. Das einzige Zeichen von Leben in seinen düsteren, erstarrten Zügen waren die Augen mit ihrem trotzigen Funkeln. Seit langer Zeit war es das erste Mal, daß er am hellen Tage in sein Heimatdorf kam. Er taumelte, wie in Trunkenheit. Die Frauen in den Haustüren blickten neugierig und mit furchtsamer Scheu auf ihn. Die Kinder liefen schweigend und ängstlich in weitem Abstand hinter ihm her.
    Sobald die alte Hürü von Memeds Ankunft erfahren hatte, rannte sie ihm entgegen. Seinen Arm packend, schrie sie ihm aus Leibeskräften ins Gesicht: »So, Memed? Erst läßt du Hatçe da oben umkommen, und jetzt gehst du hin und ergibst dich? Damit Abdi Aga zurückkommen und wieder wie ein Pascha regieren kann? Also stellen willst du dich? Hasenherziger Tropf! Dieses Jahr hat die Distelplatte zum ersten Mal genug Brot gehabt. Und nun willst du Abdi Aga wieder über uns bringen? Ach, Memed! Du bist ein Weib geworden!«
    Inzwischen hatte sich das ganze Dorfvolk im Halbkreis um die beiden versammelt. Sie standen reglos und schweigend im Kreise.
    »Schande über dich, Memed, du Hasenherz! Da schau nur, all die Menschen hier sehen dir ins Gesicht. Und du willst dich ergeben? Abdi Aga soll wieder über uns befehlen? Döne würde sich im Grabe umdrehen. Und, ach, unsere schöne Hatçe ... «
    Memed war leichenblaß geworden. Er zitterte am ganzen Leibe.
    Hürü ließ jäh von ihm ab. »Geh nur, geh, Feigling! Es gibt ja Amnestie ... «
    In diesem Augenblick preschte Osman der Mächtige zwischen die Menge. »Ince Memed!« rief er, sprang ab und schloß ihn in die Arme. »Mein Falke: dein Haus ist fertig! Das Feld habe ich schon bestellen lassen. Das Pferd hier hat das ganze Dorf für dich gekauft. Mit Trommeln und Pfeifen wird dich Vayvay einholen. Ali Safa und Abdi Aga sollen erbeben vor Zorn! Steige auf, mein Sohn!«
    Durch die Menschenansammlung ging ein unwilliges Murren. Verwünschungen gegen den Alten wurden laut.
    Memed nahm Osman dem Mächtigen die Zügel aus der Hand und schwang sich auf das Pferd. Am Rande der Menge stand Ali der Hinkende. Memed bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen. Dann gab er dem Pferd die Sporen und verschwand in einer Staubwolke. Die Bauern starrten bewegungslos hinter ihm her.
    Am Falkenfelsen stieg er ab und band das Pferd an eine kahle Platane, um deren Fuß sich die goldgelben Herbstblätter häuften.
    Bei der von leuchtendem Grün umgebenen Quelle setzte er sich auf einen Stein und stützte den Kopf in die Hände.
    Eine Weile später kam Ali ihm nach. Atemlos und erregt setzte er sich zu ihm. »Ach, Bruder, ich bin halb tot«, keuchte er, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte.
    Memed hob langsam den Kopf. In seinen Augen glommen die wilden Lichter. »Bruder Ali - ob ich ihn um Mitternacht in seinem Haus antreffe?«
    »Sicherlich! Er geht ja vor Angst keinen Schritt vor die Tür.«
    »Beschreibe mir das Haus noch einmal ganz genau.«
    »Also hör zu: Das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher