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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke
Autoren: Yasar Kemal
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seufzte sie glücklich, »was Gott alles für uns getan hat! Wir haben immer von dreißig Dönüm gesprochen, und hundert hat er uns gegeben! Und noch ein Haus dazu ... « Sie war nicht mehr wiederzuerkennen. Mit ihren Einfällen und übermütigen Scherzen glich sie einer Zwölfjährigen. Nur eines bereitete ihr Kummer: daß Memed sich nicht ebenso auf die Zukunft freute wie sie. Sie wollte auch ihn lachen sehen, aber sie konnte ihm nur ein bitteres Lächeln entlocken.
    Noch vor Tagesanbruch waren sie von Hauptmann Faruk gestellt. »Jetzt wird's ernst, Ince Memed!« schrie der Hauptmann zu ihm hinüber. »Ich bin kein Sergeant Asim!« Memed erwiderte nichts. Er kannte die Gendarmen jetzt zur Genüge und ließ sich nicht beirren. Er feuerte, was er konnte, um sie erst einmal bis zur Dunkelheit hinzuhalten. Dann würden sie zwischen ihnen hindurchschlüpfen. Iraz zeigte sich geistesgegenwärtiger und mutiger als der berühmteste Bandit. Auch in der Treffsicherheit konnte sie es mit jedem aufnehmen. Sie hätte die Gendarmen ganz allein drei Tage hinhalten können. Der Hauptmann tobte vor Zorn. Ein Mann und eine Frau! Mit denen müßte man im Handumdrehen fertig werden! Noch dazu hatten sie einen Säugling bei sich.
    »Ince Memed, hier gibt es kein Entkommen mehr!«
    Memeds Plan stand fest. Er wollte den Hauptmann töten. Das verleitete ihn zu seiner ersten großen Unvorsichtigkeit. Er kämpfte sich bis mitten in die Reihe der Angreifer hinein. In diesem Augenblick hörte er Hatçe aufschreien. Er fühlte sich zu Eis erstarren, ging aber nicht zurück. Er legte einen Feuerring um den Hauptmann und warf noch alle Handgranaten, die er bei sich hatte, in die Richtung seines Todfeindes. Dann erst lief er nach hinten. Hatçe lag leblos auf dem Rücken, sie schien zu lächeln. Das Kind saß neben ihr.
    Memed begann zu rasen. Er schoß wie ein Besessener und schleuderte eine Handgranate nach der anderen. Der Hauptmann war verwundet. Seine Gendarmen hielten dem wütenden Geschoßhagel nicht mehr stand und zogen sich zurück.
    Iraz lag zusammengebrochen über Hatçes Leichnam. Ihr Gesicht zeigte den gleichen starren Ausdruck wie an den ersten Tagen im Gefängnis. Memed saß verzweifelt und schluchzend daneben, das Gewehr auf den Knien. Hatçes Blut mischte sich mit der roten Erde von Alayar. Hoch über den Gipfeln zogen Kraniche dahin.
    Das Kind begann zu weinen. Memed nahm es auf den Schoß und drückte es an sich. Er summte ihm ein Schlummerlied, um es zu beruhigen.
    »Ich gehe ins Dorf«, sagte Iraz. »Sie sollen sie begraben.«
    Memed blieb mit dem Kind zurück, reglos wie ein Stein. Die Augen in seinem verzerrten Gesicht waren starr auf die Tote gerichtet.
    Bald kamen sie aus dem Dorf, Junge und Alte, und traten an die Leiche heran. »Oh, das böse Schicksal! Ince Memeds unglückliche Hatçe!«
    Memed ließ den Dorfvorsteher zu sich kommen und gab ihm Geld. »Ich will, daß meine Hatçe begraben wird, wie es sich gehört.« Lange blickte er noch in das lächelnde Gesicht der Toten. Dann nahm er das Kind auf den Arm. »Iraz, wir gehen.«
    Er schritt bergaufwärts voraus. Auf dem Gipfel fanden sie eine Höhle. Am Eingang setzten sie sich auf einen Stein.
    Blätter fielen von den Bäumen. Ein Vogel sang. Vom gegenüberliegenden Felsen schwang sich eine Wolke weißer Tauben in die Luft. Eine Eidechse huschte über einen Baumstumpf.
    Das Kind auf Memeds Schoß erwachte und begann zu schreien. Iraz trat zu ihm, faßte Memed am kleinen Finger und sah ihm in die Augen. »Bruder! Ich muß dir etwas sagen, Memed.« Er rührte sich nicht.
    »Bruder, gib mir das Kind. Ich gehe mit ihm nach Antep hinunter. Es muß ja sterben hier in den Bergen. Es wird verhungern. Ich will keine Rache mehr für meinen Riza. Gib nur deinen armen Kleinen dafür. Ich werde ihn nun großziehen.«
    Langsam, zögernd, reichte er ihr das Kind hin. Sie drückte es zärtlich an sich. »Mein Riza!«
    Mit der freien Hand streifte sie die Patronengurte ab. »Ich wünsche dir viel Gutes, Ince Memed.«
    Sie wandte sich zum Gehen. Memed faßte ihren Arm. Das Kind hatte aufgehört zu weinen. Er sah ihm lange in das kleine Gesicht.
    »Glück auf den Weg.«

37
    Die Kruppe des Pferdes war mehr langgestreckt und oval als rund. Die Ohren fein und hoch aufgerichtet. Auf der Stirne hatte es eine lange Blesse. Die Beine waren im Verhältnis zu dem langen Rumpf eher kurz zu nennen. Seine Farbe war nicht rot, nicht braun, auch nicht grau, eher unbestimmt gesprenkelt, auf
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