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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke
Autoren: Yasar Kemal
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zornig. »Du wirst ihn noch ins Verderben bringen, mit deinem albernen Getue!«
    Hatçe ließ den Kopf sinken. »Er ist nun schon eine ganze Woche fort. Ich habe Angst, daß es mir das Herz zusammenschnürt. Es muß ihm etwas zugestoßen sein - er bleibt doch nie länger als drei Tage weg! Ich muß hinunter ins Dorf, ich muß wissen, was mit ihm ist!«
    »Rühr dich ja nicht von der Stelle!« fuhr Iraz die Schluchzende an. »Ich schlage dich eher tot, bevor ich dich fortlasse, elende Närrin! Es kann ihm nichts passiert sein. Willst du, daß er deinetwegen umkommt?«
    Hatçe rannte in die Höhle und warf sich zu Boden, von Weinkrämpfen geschüttelt. Iraz kam ihr nach und setzte sich zu ihr. »Hatçe, meine schöne Tochter! Willst du dich denn zugrunde richten? Memed kann nichts zustoßen, das weißt du doch. Er nimmt es mit hundert Männern auf. Wozu diese Dummheiten?«
    Unten stieg der Nebel von der Distelplatte hoch. Dunkle Wolken segelten über den Himmel, als am Abend Memed in die Höhle stürzte, blutüberströmt und nach Atem ringend. Hatçe warf sich mit einem Aufschrei an seine Brust.
    »Nun hör doch schon auf!« Er streichelte ihr Haar. »Hör doch mal auf und laß mich erzählen, was ich alles erlebt habe: Der schwarze Ibrahim hat mir in der Sarica-Ebene aufgelauert, als ich von Kerimoğlu zurückkam. Der Mann ist nicht zu verachten, sage ich euch. Tapfer, und dazu noch gescheit! Drei Tage habe ich mit ihm Katze und Maus gespielt. Bis hierher an den Hang hat er mich gejagt. Ich hatte schon befürchtet, sie würden den Weg zum Berg entdecken. Aber mit Cabbars Hilfe konnte ich sie rechtzeitig täuschen ... «
    Die Frauen kümmerten sich um seine Wunde. Als sie die in die Schulter eingedrungene Kugel entfernt hatten, begann er zu fiebern. Schüttelfrost überfiel ihn. Hatçe war verzweifelt und hilflos.
    Eine Woche lang lag er im Fieber. Die Wunde hatte sich schlimm entzündet. Es dauerte noch eine weitere Woche, bis er wieder so weit bei sich war, daß er die Ereignisse zusammenhängend schildern konnte:
    »Noch vor der Sarica-Ebene bin ich mit Sergeant Asim und knapp einem Dutzend Gendarmen zusammengestoßen. Weiß Gott, dieser Sergeant wird noch einmal durch meine Hand umkommen! Geht der Kerl doch ohne alle Deckung auf mich los! Wie ich auf ihn halte, schreit er auf und wirft sich auf die Erde. ‚Nur keine Angst, Sergeant', sage ich ihm, ‚du kannst ja nichts dafür. Wenn ich gewollt hätte, dann hätte ich dich schon zehnmal totschießen können. Troll dich, ich tue dir nichts!' Mein Sergeant steht auf, lächelt mir zu, nimmt seine Leute und verschwindet ohne ein Wort!
    Dann sollte mir einer auf der Sarica-Ebene Munition übergeben. Am Treffpunkt werde ich von einem Feuerhagel überschüttet. Das war Ibrahim der Schwarze. Da hat es mich an beiden Händen erwischt. Als sie mich zum Berg hin verfolgen, da ist es mir mit einem Mal, als hörte ich Cabbars Stimme! Weiß der Teufel, wo er plötzlich hergekommen ist, aber er muß sich auf sie gestürzt haben, um sie von mir abzulenken. Auf jeden Fall müssen wir jetzt von hier weg. Der Boden wird zu heiß. Ali Safa Bey steht jetzt dahinter!«
    Er blieb noch eine Woche liegen. Unten am Hang fielen dann und wann Schüsse. Nach und nach verheilten Memeds Wunden.

31
    Es wurde Herbst. Die Menschen auf der Distelplatte gingen mit Eifer ihrer Arbeit nach. Die Ernte fiel reich aus. Die Ähren waren voll und schwer. Mutter Hürü fegte wie ein Wirbelwind umher, überall unablässig schwatzend und lästernd. Bei jedem Atemzug verzog sie schmerzvoll das Gesicht. Auf der rechten Seite trug sie seit den Mißhandlungen durch die Gendarmen ein Pflaster über den Rippen.
    Unermüdlich redete sie auf die Bauern ein: »Ihr Leute, Abdi Aga kann nicht mehr zurückkommen. Und da wollt ihr ihm noch seine zwei Drittel geben? Schön dumm wäret ihr! Sagt doch, die Ernte sei mißraten und verdorrt, ihr hättet nicht einmal genug für euch selbst!« Sie zog von Dorf zu Dorf und predigte überall das gleiche. Unterwegs sprach sie laut vor sich hin. Wo sie einen Bauern beim Mähen oder hinter dem Dreschschlitten antraf, verweilte sie. »Betet für meinen Memed, Tag und Nacht! Ihm habt ihr es zu verdanken, wenn Abdi Aga jetzt nicht wie ein Geier über euch ist! Der ist jetzt in der Stadt und pflegt sich. Hat er je für den Boden einen Finger krumm gemacht? Nicht ein Körnchen dürft ihr dem Schmarotzer geben!« Wen sie so ins Gebet genommen hatte, der nahm die Kappe ab und kratzte sich
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