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Mala Vita

Mala Vita

Titel: Mala Vita
Autoren: Claudio M. Mancini
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Teverya
    L uciano und Lisa waren von den Höhen des Golan aus dem Kibbuz Gschur zurückgekehrt und hatten sich an diesem späten Frühlingstag darangemacht, ihre Apfelbäume zu schneiden, die sie letztes Jahr gepflanzt hatten. Die Maisonne hatte viel Kraft und das Land in ein sattes Grün verwandelt. Durch die weit geöffneten Terrassentüren des rustikalen Hauses in der Yad-Vashem-Straße drang Donizettis Arie
»Una furtiva lacrima«
und erfüllte den Garten mit Pavarottis sehnsuchtsvoller Stimme.
    Topolina saß im Schatten unter einem blühenden Mandelbaum, flocht ihre schwarzen Haare zu Zöpfen und summte den neuesten Hit, der zurzeit auf allen Sendern lief. Hin und wieder schaute sie auf, wenn ihr kleiner Hund Bruno, ein braunes Wollknäuel, sie stupste und zum Spielen aufforderte.
    »Jetzt nicht, Bruno«, ermahnte sie ihn und kraulte ihn an seinen flauschigen Schlappohren.
    Das Mädchen war in Gedanken versunken. Sie vermisste ihre Freundinnen in der Via Giardinello, das aufregende Leben am Strand an der Viale delle Dune, den Spielplatz neben den bunten Umkleidekabinen, aber noch mehr vermisste sie Onkel und Tante, die in einem Bauernhaus direkt am Meer lebten. Natürlich auch die
nonna,
die sie über alles liebte und zu der sie immer gegangen war, wenn sie Kummer gehabt hatte. Aber das war früher. Von heute auf morgen hatten ihre Eltern die Sachen gepackt und waren von Sizilien nach Israel ausgewandert. Alles Sträuben und Weinen hatte nichts genutzt. Papa hatte kurzerhand das leer stehende Anwesen in den Hügeln von Teverya unterhalb des Golan gekauft. Das war 1986 , vor genau einem Jahr.
    Immer wieder hatte sie ihre Eltern gefragt, weshalb sie weggezogen waren und sie alles, was sie geliebt hatte, so plötzlich verlassen musste. Papa presste die Lippen zusammen und sagte nichts, während Mama ihre Tränen versteckte und meist mit schuldvoller Miene vom Thema ablenkte. Noch weniger konnte Topolina, wie sie liebevoll von ihrem Vater genannt wurde, verstehen, weshalb die Eltern ihr strikt verboten hatten, Freundinnen, die
nonna
oder den Onkel anzurufen.
    Topolinas unendliches Heimweh hatte ihr alle Fröhlichkeit genommen. Einzige Ablenkung waren die Briefe, die sie heimlich an Onkel Giulio schrieb, mit kleinen roten Herzchen hinter den Zeilen verzierte und voller Hoffnung nach Italien schickte. Aber sie hatte nie eine Antwort erhalten. Papa versuchte alles, sie aufzumuntern, wenn sie sich in ihr Versteck unter dem Dach zurückzog. Aber es gelang ihm immer seltener. Da nützte es nichts, wenn er behauptete, sie würden am »Nabel der Welt« leben und dass es der schönste Platz auf der ganzen Welt sei. »Es dauert nicht mehr lange, bis sie ihr Lachen wiederfindet«, hörte sie Papa ihrer Mama zuflüstern. Topolina dagegen war sich sicher, dass sie das Lachen verloren hatte.
    Auch wenn sie ihre neuen Schulkameradinnen mochte, allmählich auch die fremde Sprache verstand und sich zaghaft an die neue Umgebung gewöhnte, sie konnte sich nur schwer mit ihrem Los abfinden. Abwechslung gab es hier so gut wie keine. Das Haus lag abgelegen in den einsamen Hügeln, und in die Stadt war es mehr als eine Stunde zu Fuß, und ohne Begleitung durfte sie dort sowieso nicht hin. Nur wenn Mama zum Einkaufen nach Teverya oder Haifa fuhr, zeigte sich erwartungsvolle Freude in ihrem Gesicht, auch wenn sie nur in die Supermärkte gingen und wenig Zeit übrigblieb, um zu flanieren oder in einem Café ein Eis zu essen.
    Bruno raste plötzlich aufgeregt durch den Garten und blieb kläffend am Schotterweg stehen, der in langen Schleifen hinunter zum See Genezareth führte.
    Topi sprang auf und rannte mit fliegenden Zöpfen hinterher.
    »Still, Bruno!«, rief sie.
»Vieni qua!«
Sie deutete neben ihren Fuß, aber Bruno dachte nicht daran zurückzukommen. Vielmehr gebärdete er sich wie verrückt und wollte keine Ruhe geben. Topi stellte sich auf die Zehspitzen und bog einige Zweige der Hecke beiseite. Jetzt konnte sie das Auto sehen. Ein großer schwarzer Wagen stand im Schatten eines Baumes knapp einen Steinwurf von ihrer Einfahrt entfernt. Sie hüpfte so hoch sie konnte, um zu sehen, wer da wohl gekommen war.
    Zwei Männer stiegen aus und gingen auf das Haus zu. Männer in hellen Sommeranzügen. Was sie hier wohl suchten? Brunos Kläffen wurde immer wütender.
    »Still!«, schimpfte Topi mit ihrem Hund und wandte sich um. »Papa, wir bekommen Besuch!«, rief sie aufgeregt und rannte hinüber zu den Obstbäumen. »Da ist jemand
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