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Stachelzart

Stachelzart

Titel: Stachelzart
Autoren: Jasmin Wollesen
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Erstes Kapitel
     
    Samstag, 28. September
     

     
    Ich hatte mich so sehr auf einen entspannten Abend gefreut. Meine Lieblingschips standen griffbereit und einen spannenden Film hatte ich mir auch schon ausgesucht. Gerade drückte ich die PLAY Taste auf meiner Fernbedienung, als das Telefon klingelte.
„ DuH ruft an“, stand auf dem Telefondisplay.
DuH hieß mit richtigem Namen Vera und war die anstrengendste Person, die ich kannte.
    Ganz kurz überlegte ich, ob ich das Telefon nicht einfach weiter klingeln lassen sollte, ohne dran zu gehen. Aber wer Vera kannte, wusste, dass sie niemals aufgeben würde. Sie würde es alle paar Minuten wieder versuchen, sowohl auf meinem Festnetzanschluss als auch auf meinem Handy. Und mich damit derart stressen, dass ich mich unmöglich vor dem Fernseher würde entspannen können. Außerdem hatte mich Vera vor nicht allzu langer Zeit sehr erschreckt - mit einem Anruf aus dem Krankenhaus. Sie war wegen des Verdachts auf einen Herzinfarkt eingeliefert worden. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Vera jemals ernsthaft krank gewesen wäre, deshalb s chockte mich diese Nachricht umso mehr. Vera ging es momentan wieder gut, aber dennoch saß bei mir die Angst tief, dass ihr etwas passieren könnte, ganz egal wie nervig sie auch war.
    Mit den Worten „Hallo Vera!“, ergab ich mich also in mein Schicksal.
    „Anna?“, hörte ich Veras rauchige Stimme aus dem Hörer.
    „Natürlich, wer denn sonst?“, antwortete ich und hoffte ganz kurz, dass Vera sich vielleicht verwählt hatte und mich gar nicht sprechen wollte.
    „Kind, melde dich doch bitte anständig am Telefon. Wie oft habe ich dir das schon gesagt!“, stöhnte sie. „Warum ich anrufe“, plapperte sie weiter. „Hast du Zeit jetzt gleich zu mir zu kommen? Ich habe Neuigkeiten!“
    „ Pfff“, stöhnte ich. „Muss das sein? Ich wollte gerade einen Film sehen!“
    „Das kannst du doch morgen auch noch machen. Ich erwarte dich in einer dreiviertel Stunde bei mir! Dann trinken wir zusammen ein Sektchen!“
    „Verdammt!“, murmelte ich und legte genervt den Telefonhörer zur Seite.
    Einen Abend mit Vera zu verbringen war so ziemlich das Letzte, auf das ich gerade Lust hatte. Aber wenn Vera ihren Willen nicht bekam, mutierte sie zu etwas sehr Unangenehmen. Außerdem hatten ihr die Ärzte im Krankenhaus ein schwaches Herz bescheinigt und gesagt, sie solle sich schonen und nicht unnötig aufregen. Damit erpresste sie mich nun. Sonst hätte Vera gerne Vera sein können und ich hätte ihr einfach gesagt, dass ich heute Abend keine Zeit hätte. Das Problem war nur, dass Vera sich furchtbar schnell aufregen konnte.
 
    Als ich noch kleiner war, stellte ich mir immer vor, dass Vera einmal einer außerirdischen Strahlung ausgesetzt war. Und immer wenn sie wütend wurde, wurde aus ihr DuH . DuH war meine ganz persönliche Abkürzung für Vera, von der sie natürlich nicht wusste, was sie bedeutete. DuH stand für: Der unglaubliche Hulk. Denn so wie der nette Dr. Banner zum unglaublichen Hulk mutierte, mutierte auch Vera zu etwas sehr Unangenehmen. Die Fernsehserie „Hulk“ sah ich mir früher immer mit dem vier Jahre älteren Nachbarjungen Felix an. Darin ging es um Bruce Banner, einen Physiker, der aufgrund eines Unfalls großen Mengen an Gammastrahlen ausgesetzt war und sich daraufhin immer, wenn er wütend wurde, in ein grünes Monster verwandelte. Eigentlich stand ich schon damals eher auf romantische Filme, meine Lieblingsserie zu dieser Zeit war „Heidi“, aber um Felix zu beeindrucken, habe ich mir Hulk immer mit ihm zusammen angeschaut.
    Und irgendwann fiel mir auf, dass der unglaubliche Hulk eine gewisse Ähnlichkeit mit Vera hatte. Vera konnte nämlich auch unglaublich sein - unglaublich nervig. Leider gab es wie bei Hulk kein Gegenmittel für Veras Mutation. Zumindest hatte ich noch keines gefunden.
    Das einzige, was man machen konnte, um DuH nicht hervorzulocken war so ziemlich genau das zu tun, was Vera wollte. Dann konnte sie auch ganz nett sein. Früher war ich schon so sehr an DuH gewöhnt, sodass Veras Verwandlung für mich quasi zum Alltag gehörte. Ich war immer ganz erstaunt, wenn ich andere Erwachsene kennenlernte, die stets ruhig und freundlich waren und sich niemals in grüne Monster verwandelten.
 
    Aber da die Ärzte Veras Mutation in DuH nun als gefährlich für ihr Herz einstuften, ergab ich mich in mein Schicksal, schlüpfte noch schnell in eine Jeans und mein Lieblingssweatshirt und
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