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Mala Vita

Mala Vita

Titel: Mala Vita
Autoren: Claudio M. Mancini
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unweit vom Palazzo dei Bianchi ihren Cappuccino oder Aperitivo tranken und die Frau an seinem Tisch mit unverhohlenem Interesse beobachteten. Sie passte perfekt in diese Kulisse, in der einst reiche Bankherren ihrem Beruf nachgingen und sich heute die elegantesten Geschäfte der Stadt befanden.

    Bei seiner Lesung im Teatro Comunale an der Via Zamboni war sie ihm sofort aufgefallen. Sie saß in der ersten Reihe und hatte ihn mit ihrem bezaubernden Lächeln beinahe vergessen lassen, weshalb er eigentlich engagiert war. Er musste sich zusammenreißen, um sich konzentriert seinem Text zu widmen.
    Und nun saß sie, die sich ihm als Rosanna vorgestellt hatte, im Korbsessel des Straßencafés mit übergeschlagenen Beinen ihm gegenüber, strich sich mit einer unnachahmlichen Geste das Haar aus der Stirn und bestellte einen Espresso. Ein aufregendes Lebensgefühl durchströmte Cardone, und er lächelte voll innerer Zufriedenheit. Die sommerweiche Abendluft tat ihm gut. Das kräftige Ocker. Das Zinnoberrot. Der gelbgold glimmende Abendhimmel. Bologna zeigte seinen betörenden Glanz. Cardone beobachtete, wie Rosanna die Tasse mit einem Schluck leerte und vorsichtig wieder zurückstellte. Ihr Lippenstift hatte rote Spuren am Tassenrand hinterlassen.
    »Und wie kommt man dazu, Schriftsteller zu werden?«, fragte sie mit einem unergründlichen Lächeln. Der warme Ton in ihrer Stimme legte sich wie ein Samthandschuh über seine Sinne. In seinen Augen flackerte die Glut der Obsession, als er über seine Arbeit und die Vorzüge guter Literatur dozierte, und er sprühte vor Begeisterung, wenn er auf seine Erfolge zu sprechen kam. Rosannas Miene wechselte zwischen kaum merklichem Unverständnis und milder Freundlichkeit. Manchmal versuchte sie sich ein Lachen zu verkneifen, indem sie sich auf die Lippen biss. Diese Lippen wechselten oft Form und Ausdruck, warfen sich auf, waren rund, wurden schmal, blass oder dunkel, wie von einer flackernden Flamme bewegt. Cardone hätte bemängeln können, dass ihre Nase nicht römisch, ihr Kinn nicht klassisch war, aber angesichts ihrer reizenden Mundwinkel hätte niemand gleichgültig bleiben können.
    Es schien sie zu amüsieren, wie er von Satz zu Satz sprang, manchmal konfus, ohne den rechten Faden zu finden, manchmal weit ausholend, ausschweifend und blumig, um endlich wieder dort anzuknüpfen, wo er ursprünglich begonnen hatte.
    Die Bedienung brachte Cardone einen weiteren Cappuccino an den ovalen Bistrotisch mit der marmorierten schwarzen Platte. Er riss die Verpackung des Kekses auf, den er am Rand der Untertasse fand, und schob ihn genüsslich in den Mund. Ein ziehender Schmerz schoss ihm in den Kopf. Links hinten. Sein Backenzahn! Bestimmt ein freiliegender Zahnhals, konstatierte er im Stillen, ich sollte besser zum Zahnarzt gehen, als mit einer neuen Bekanntschaft zu flirten.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«
    »Doch, doch …«, sagte er abwesend und versuchte mit der Zungenspitze herauszufinden, ob der Schaden bereits fühlbar war.
    »Sie müssen viele Verehrerinnen haben«, unterbrach Rosanna seine Zungenübung und holte ihn in die Realität zurück.
    »Es hält sich in Grenzen«, erwiderte Cardone mit einem entwaffnenden Lächeln. Er wusste, dass er beim weiblichen Geschlecht gut ankam. Auch dass er mit seinen fünfundvierzig Jahren nicht unattraktiv war. Aber solche Überlegungen waren für ihn nebensächlich und nicht sonderlich wichtig, und er ließ sich nicht anmerken, dass er bewundernde Blicke von Frauen durchaus mit Genugtuung registrierte, insbesondere bei Literaturveranstaltungen und öffentlichen Auftritten.
    Die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit verbuchte er als eine Wertschätzung seiner literarischen Fähigkeiten, die ihm schmeichelte. Sie trug nicht unerheblich zu seiner Selbstzufriedenheit bei, was er gerne zugab. Bemerkte er jedoch, dass das Interesse nicht seiner Arbeit als Künstler, sondern ihm als Mann galt, gab er sich gekränkt. Er liebte den geheimnisumwitterten Nimbus eines Schriftstellers und badete mit einer gewissen Egozentrik in der Bewunderung, die ihm die Damenwelt entgegenbrachte.
    Nichtsdestoweniger konnten ihn schöne Frauen zutiefst verunsichern, und er wusste nie so recht, wie er mit ihnen umgehen sollte. Heute jedoch musste ihn der Teufel geritten haben, als er nach der Lesung die Dame in der ersten Reihe angesprochen und in eine Cafébar eingeladen hatte. Insgeheim hatte er nur für sie gelesen, wollte sie mit seinem Feuer und seiner Leidenschaft
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